Wer Allmende nicht versteht, versteht die Schweiz nicht

Aus der Dokumentation der Commons-Sommerschule 2013, veröffentliche ich hier die Zusammenfassung des Vortrags von Daniel Schläppi zum Thema Gemeinbesitz und kollektive Ressourcen als Basisgrössen von Politik und Gesellschaft der (vor)modernen Schweiz. Sic! Er war lang 🙂

Es ist das Ergebnis der Workshoparbeit von Silke Helfrich, Klaus Prätor, Stefanie Haupt und Nele Hofmann; hat viel Spaß gemacht und war sehr instruktiv. Tldr? Dranbleiben! Lohnt sich.

Es gibt – in dieser Reihenfolge:

  • Eine Überblickskarte (die den behandelten Zeitraum betrifft)
  • Eine Einleitung
  • Einen Crashkurs in älterer Schweizer Geschichte
  • Auskunft über Defizitfokussierte Forschungsstände und Denkblockaden
  • Einen Versuch zu beschreiben:  Was sind und wie funktionieren Ressourcen? wobei eine Breite Palette an materiellen, immateriellen und institutionellen Gütern erfasst wird
  • Einen Kasten zu Geschlechterverhältnissen in Eidgenossenschaftlichen Strukturen
  • Einen Abschnitt über (Investitions-)Logiken und Innovationsstrategien des korporativen Ressourcenmanagements, wobei die Ostrom’schen Designprinzipien tabellarisch mit der Realität der Vormodernen Schweiz verglichen werden – ein Abschnitt zur Rolle von Ritualen für das Entstehen von Gemeinschaftlichkeit und zu den Vorteilen, die die Allmende einzelnen Nutzer_innen bietet
  • Einen Überblick über die Korporative Logik
  • Einen Kasten zur Wirkung der Geschichte des Korporativen in der Schweiz
  • Abschließende Thesen (die bereits hier veröffentlicht wurden)

Das Ganze gibt’s auch als pdf. Viel Spaß beim Studieren!

Territoriale-Entwicklung- Alte EidgenossenschaftCHDie Territoriale Entwicklung der Eidgenossenschaft 1291–1797 nach Adolf Gasser und Ernst Keller by Marco Zanoli (Sidonius) on  Lizenz: CC BY SA.3.0

Einleitung

Die Beschäftigung mit der Bedeutung von Allmenden oder ‒ allgemeiner ‒ Commons für die vormoderne Schweiz relativiert diverse etablierte Lehrmeinungen. Das Lehrbuchwissen lässt sich in den Quellen nicht unbedingt wiedererkennen, resümieren wir nach dem Vortrag des Historikers Daniel Schläppi. Man könnte es auch so ausdrücken: Traue keinem Geschichtsbuch.

Die Sichtung vielfältiger Quellen aus der täglichen Verwaltungspraxis rückt die Bewirtschaftung von Gemeinbesitz und kollektiven Ressourcen ins Zentrum des Interesses. Dies wurde während der vergangenen Jahrzehnte von der gängigen Geschichtsschreibung vernachlässigt. Als vorrangiger Befund wird deutlich, dass Commons äußerst langlebige Institutionen generierten, die sich im Verlauf der Geschichte offenbar gut bewährten. Die genaue Betrachtung der historischen Realitäten trägt zudem dazu bei, die Entstehung der modernen Schweiz und die darin eingelagerte Allmend-Kultur genauer nachzuzeichnen. Anders gesagt: Der (vor)moderne Schweizer Staat hat viel mit Allmendstrukturen zu tun.

1. Crashkurs in älterer Schweizer Geschichte

Der Begriff der Alten Eidgenossenschaft beschreibt das Korpus von 13 politisch unabhängigen ländlichen und städtischen Gebieten, auch Orte oder Kantone genannt. Dieser lockere Staatenbund wurde u.a. durch die gemeinsame Verwaltung der so genannten Gemeinen Herrschaften (gemeinsam eroberte Untertanengebiete)zusammengehalten. Auf den gemeineidgenössischen Versammlungen, den Tagsatzungen, behandelten zwischen 1570 und 1600 35% der Traktanden (Tagesordnungspunkte) Fragen der Verwaltung von und der Ressourcenabschöpfung in den Gemeinen Herrschaften. Kennzeichnend für die Alte Eidgenossenschaft waren nicht nur die Heterogeneität der Mitgliedschaft, sondern auch die ausgeprägten ökonomischen und politischen Verbindungen in benachbarte Fürstentümer und Monarchien.

Unter den 13 Orten bestand zwar formale Gleichberechtigung, doch zugleich waren sie durch eine Rangordnung geprägt, die sich am gestaffelten Zeitpunkt des Beitritts zur Eidgenossenschaft ebenso orientierte wie am ökonomischen Potential der Orte. Der lockere Staatenbund funktionierte in erster Linie aufgrund gemeinsamer Interessen der beteiligten Orte, obwohl sich diese hinsichtlich Größe, politischer Institutionen und ländlicher bzw. städtischer Prägung unterschieden.

Wie in jeder Gesellschaft wirkten in der vormodernen Schweiz zentrifugale Kräfte, so etwa die Bikonfessionalität. Dennoch hielt das Gebilde trotz Unruhen, Bürgerrevolten und extremer sozialer Gegensätze lange zusammen. Dass die lose Allianz trotz divergierender Einzelinteressen und konfessioneller Spaltung bestehen blieb, ist auch ein Ergebnis genossenschaftlicher Strukturen und Organisationsformen, sowohl in den einzelnen Orten als auch auf Ebene der Eidgenossenschaft selbst. Einen Beleg dafür liefert die in der Tagsatzung vorgeschriebene Jahrrechnung. Sie fand sogar noch in Jahren konfessionell begründeter Bürgerkriege unter den Eidgenossen statt. Diese Stabilität begründete sich nicht zuletzt damit, dass die alte Eidngeossenschaft gut eingespielte und zielführende Verfahren der Konfliktschlichtung kannte und praktizierte (Schiedsgerichte).

Gemeinbesitz und kollektive Ressourcen prägten neben den politischen Institution auch die Lebenswelt der einfachen Leute, indem viele Lebensbereiche genossenschaftlich organisiert waren. Es gab Gesellschaften zur Pflege von Kultur und Geselligkeit, Nachbarschaften, Familienkisten1, u.a.

Auch heute müssen Commons Machtgefälle und Ungleichheiten aushalten. Die Alte Eidgenossenschaft hat das geschafft. Emanzipatorisch wäre sie allerdings nur dann gewesen, wenn sie diese Machtgefälle und Ungleichheiten eingeebnet hätte. Doch die
Hierarchisierung der Nutzungschancen nach Besitz, Stand oder (verständlich) Dauer der Zugehörigkeit (und somit bereits erbrachter Leistungen), war die Norm. Sie war nicht dazu angelegt, Unterschiede einzuebnen.

2. Defizitfokussierte Forschungsstände und Denkblockaden

Das Verständnis “kollektiver Ressourcen” und genossenschaftlicher Logiken korrigiert die gängige historische Forschung, die die Schweizer Staatsentwicklung über (vermeintliche) Defizite deutet. Dies wird von Daniel Schläppi an einigen Kernbegriffen veranschaulicht: Der Absolutismus konnte sich in der Schweiz nur sehr beschränkt durchsetzen, allenfalls ließe sich von einem ‚kulturellen Absolutismus‘ sprechen. Gegen die übermäßige Bereicherung an Gemeingütern erhoben sich immer wieder Revolten. Die „Objekte der Herrschaft“ waren eben nur beschränkt steuerbar. Typische Merkmale monarchischer Flächenstaaten (professionelle zentrale Verwaltung, zentralstaatliche Struktur, stehendes Heer, Beamtenschaft, Funktionselite, Einkommenssteuern = Abgaben) gab es in der Alten Eidgenossenschaft nicht. Ihre Staatsbildung repräsentierte vielmehr “vormoderne Herrschaftsverhältnisse”. Ausländische Gesandte sagten immer: „das ist ein Staat, mit dem man gar keine Diplomatie machen kann.“ Positiv gewendet: in der Alten Eidgenossenschaft wurde ein anderes Modell von Staatlichkeit gelebt (basierend auf Korporationen (kollektiven Strukturen), die nicht einmal politische Gemeinschaften war). Schläppi formuliert es so:

Das Wissen um den korporativen Untergrund von Staat und Gesellschaft macht defizitäre Geschichtsdeutung der Schweizer Staatsentwicklung evident“. (Schläppi)

Moderne Politikwissenschaft beschreibt diesen Prozess als ‚Koproduktion von Staatlichkeit‚, wofür die Eidgenossenschaft die nötigen Mittel und Techniken zur Verfügung stellte. Die positiven Seiten dieser Entwicklung wurden in kommunalistischer Lesart (Peter Blickle) hervorgehoben. Darin wird das Konzept der Freiheit auf die Freiwilligkeit der (kommunalen) Zusammenschlüsse zurückgeführt (was Schläppi als „zu konzeptfixiert“ kritisiert). In der Realität sind “Freiheiten” nicht nur zielgerichtet-willentlich, sondern eher als das Festhalten an bestehenden, meist wirtschaftlichen, Privilegien zu verstehen (etwa: Befreiung von Abgaben). Und diese Privilegien wiederum waren in der Regel an korporative (kollektive/genossenschaftliche) Strukturen gebunden, ohne die weder die ländliche noch die städtische Ökonomie auskamen.

Ein gerade für die Schweiz wichtiges Beispiel gemeinwirtschaftlicher Strukturen sind die Allmenden (die von Patronagetheoretikern gern übersehen werden). Schon im 18. Jahrhundert erhielten sie bei den Propagandisten des Fortschritts ein negatives Image als Entwicklungshemmnis (insbesondere in der Landwirtschaft), woran neoliberale Positionen des 20. Jahrhunderts kritiklos anknüpften. Im 19. Jhd, als Allmenden noch anschaulich vorhanden waren, gab es ein differenzierteres Bild von ihnen, das auch Konzepte des “gemeinen Nutzens”, der “allgemeinen Wohlfahrt” einbezog, zum Beispiel ihre Bedeutung für die Armenfürsorge, die zu dieser Zeit den Gemeinden übertragen war. Die Allmenden waren ein Puffer für soziale Probleme, und somit auch Konfliktpunkt. Die Versorgung der Armen konkurrierte mit dem Wunsch der Reichen, mehr Vieh auf die Allmenden zu treiben. Der Vorwurf der Innovationsfeindlichkeit von Allmenden und der generellen Strukturkonservativität gemeinwirtschaftlicher Strukturen hält historischer Überprüfung nicht stand. Korporationen (hier zumeist Genossenschaften) passten ihre Modelle und Allmenden ihre Bewirtschaftungsweise durchaus den aktuellen Erfordernissen an. Das ist ein (mit den Ostromschen Designprinzipien übereinstimmender) Grund ihrer Langlebigkeit.

Auch wirtschaftliche Abhängigkeiten wurden durch korporative Rahmungen eingeschränkt, da diese auch die Mächtigen unter Beobachtung stellten. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Landsgemeinde, als Vollversammlung der Nutzungsberechtigten eines ganzen Kantons. Deren Demokratietauglichkeit ist wegen Käuflichkeit etc. stark kritisiert worden. Ihr Stellenwert für eine Kultur der Demokratie und Partizipation sollte dennoch nicht übersehen werden, denn Landsgemeinden konnten sich aufgrund ihres spezifischen Charakters sehr wohl Herrschaftsansprüchen widersetzen und “sie schulten politisches Wissen und die Kultur der eigenen Meinung” (Schläppi). Es ging darum „dabei zu sein“, anwesend zu sein, Entscheidungen vielleicht nicht zu befürworten, aber auch nicht grundsätzlich abzulehnen. Eine zentrale Errungenschaft des korporativen (kollektiven) Untergrunds war die schrittweise Etablierung von Mehrheitsentscheiden in umstrittenen Handlungsfeldern wie der vom Bikonfessionalimus geprägten Verwaltung der Gemeinen Herrschaften. In stetig wiederkehrenden Abstimmungen und öffentlichen Wahlen wurde die Koexistenz von Mehr- und Minderheiten eingeübt.

Diese Routine, gewonnen in unzähligen Versammlungen und Abstimmungen, half dabei, auch mal in der Minderheit zu sein und seine Interessen trotzdem mindestens teilweise berücksichtigt zu sehen. So wurden einige Kirchen in den Gemeinen Herrschaften, die sog. Simultaneen, von beiden Konfessionen genutzt (Messen unterschiedlicher Konfessionen in derselben Kirche wurden möglich). In kritischen Verteilungskämpfen um Ressourcen wurden wichtige Entscheidungen sowie die Vollzugskontrolle an paritätischzusammengesetzte (also nicht nur durch die Oberschicht bestimmte) Kommissionen delegiert. Der Charakter dieser Versammlungen als Symbolhandeln und frühdemokratische Rituale wurde, anders als die höfischen Rituale der absolutistischen Staaten, bisher wenig untersucht. Am ehesten wurde noch ihr Verlauf mit verbaler und teilweise auch physischer Gewalt notiert. Ausländische Beobachter empfanden sie als

demokratisch, ja tumultuarisch, und ihre Mitglieder eher als der Volksgunst ausgelieferte Gemeindepolitiker denn als aristokratische Regenten.”

Freilich dienen Rituale auch der sozialen Befriedung und der Verhinderung von gewaltsamem Widerstand, aber sie sind mehr als das. Sie sind auch Räume, in denen politischer Protest moderat artikuliert werden konnte. Als solche blieben sie nicht ohne Wirkung, auch wenn sie die übergelagerten herrschaftlichen Gegensätze nicht abschafften.

3. Was sind und wie funktionieren Ressourcen?

Um dem Kurzschluss der Essentialisierung vorzubeugen, geht Daniel Schläppi von einem analytischen Ressourcenbegriff aus, denn

in zivilisierten, arbeitsteiligen Lebensformen trinkt niemand einfach aus dem Bach oder reitet sein Bärensteak unter dem Sattel gar, oder wird ausschließlich in Naturalien oder durch Gastfreundschaft entlöhnt.“ (Schläppi)

Anders gesagt: Ressourcen fallen nicht vom Himmel. Vielmehr ist zu fragen: Wie entstehen kollektive Ressourcen/Güter? Welche Investitionen, Praktiken, Vorleistungen zur Gewinnung und Bereitstellung oder zum Tausch wurden im je spezifischen Kontext als bedeutend empfunden und erbracht? Und vom wem? Wer schrieb ihnen welchen Wert zu? Erst diese Analyse ermöglicht es, die Logiken des Tausches, der Verteilung, des Verzichts oder der Usurpation von Ressourcen besser zu verstehen und zu begreifen, warum Leute zu Genossenschaften gehören wollen oder nicht.
Ressourcen existieren demnach zunächst nur in <Potenz> sprich: als noch nicht realisierte Möglichkeiten. Zu ihrer Erschließung bedarf es kollektiver Prozesse der Überführung in transparente Nutzungs- und Organisationsformen. Genau das geschieht in den korporativen Strukturen der Alten Eidgenossenschaft (siehe Abschnitt 1).

Kollektive Ressourcen bezeichnen Güter, die über kollektive Strategien generiert werden und kollektive Interessen abbilden. Gelingt dies dauerhaft, werden charakteristische Handlungslogiken und Denkweisen kollektiven Handels sichtbar. Darüber entstehen nicht nur Weideallmende oder Brunnengenossenschaften, sondern auch Privilegien, Kapitalstöcke und Immaterielles. All dies ist an Personen (meist Haushalte) gekoppelt. Nutzungsrechte sind vererbbar und gehen verloren, wenn sich Nutznießende aus den korporativen Handlungslogiken ausklammern.

Die Überführung der Ressourcen in soziale Praxis (im Sinne des Commoning) setzt voraus, dass Ressourcen in sozialer, kultureller, ökonomischer Reichweite liegen. Das ist durchaus bildlich zu verstehen. Von Abfallverwertung/-recycling leben anderswo ganze Kulturen. Dafür ist spezifisches Wissen notwendig, das in unseren Breiten verloren gegangen ist. Zudem muss jede Gruppe periodisch pragmatische Lösungen entwickeln, eingeschliffene Regeln und Praktiken überdenken und ihren sozialen Zusammenhalt permanent regenerieren. Es geht in historischen Commons-Strukturen um die Verteilung von Nutzungschancen, nicht per se um Verteilungsgerechtigkeit und auch nicht ausschließlich um das dingrechtliche Eigentum, sondern um situativ gesicherte und dadurch volatile Gewohnheitsrechte, die durch das Situative zugleich fragil sind und ihre Stellung behaupten.

Bereits das bloße Interesse am Erhalt einer Ressourcen, die Konsolidierung ökonomischer Sicherheiten oder die Absicherung von Standesprivilegien [kann] soziales Verhalten konditionieren.“ (Schläppi)

Auch Großbauern konnten sich nicht einfach aus dem korporativen System lösen, weil die Ressourcen der Gemeinde über das Jahr hinweg den Unterhalt der vielen armen Arbeitskräfte garantierten, die nur zur kurzen Erntezeit wirklich gebraucht wurden. Zudem galt: wer mehr Vieh auf die Weide treibt, muss mehr einbringen. Die Idee der Proportionalität war in der Alten Eidgenossenschaft sehr ausgeprägt.

Zwischenfazit: Wenn heute Fragen der Verfügungsrechte/ des Eigentums im Mittelpunkt stehen, deutet das auf ein reduktionistisches Verständnis der Vormoderne hin. De facto ist die Ebene konkreter Nutzungsrechte die spannendere; ebenso die Frage wie Privilegien entstehen, wie sich herrschaftliche Stellung legitimiert, warum sie sich (lange) erhält und welches die Mechanismen ihres Verblassens sind.

Relationale Ressourcen: Korporative Strukturen sind geprägt von vielfältigen sozialen Interaktionen (sehr wichtig: gemeinsames Essen!), in denen der Ressourcentransfer in langfristige Beziehungssysteme eingelagert ist. Es geht also nicht um Gabentausch, sondern darum, Verpflichtungen überhaupt erst zu erzeugen und dauerhafte Beziehungen aufzubauen – gerade auch durch den Aufschub der „Gegengabe“.

Man könnte dies als „latente Reziprozität“, ähnlich im politischen Kontext:

wenn ich Leute vor Wahlen zum Essen einlade, habe ich keine Garantie, dass die mich wirklich wählen. Es geht um Ritualisierung, nicht darum, sich den Bauch vollzuschlagen.“

Das Grundprinzip im Alltag ist:

Solange wir nicht quitt sind, wird es schwierig, die Beziehung aufzukündigen.“(Schläppi)

Unerlässliche Ressourcen der Vormoderne waren …

  • Vertrauen, auf permanenter und verlässlicher Repetition bestimmter Interaktionen beruhend
  • Kredit, mehr am Ansehen der Person als an deren finanziellen Verhältnissen orientiert
  • Ehrenhaftigkeit einer Person als Basis ökonomischer Beziehungen. Angesichts labiler Beziehungsgefüge wird die Korporationszugehörigkeit ein wichtiger Generator der Ehre und die Korporation damit zur Sanktionsinstanz und möglichem finanziellen Bürgen (vgl. heute Mikrokredit).

Wie Vergemeinschaftung meist eine Beziehung zu Wirtschaft hat (Max Weber), kann umgekehrt auch Wirtschaft als eingebettet in anders gerahmte Ressourcensysteme (Familien, Nachbarschaften ..) gedacht werden. In der auf Sicherheit bedachten Vormoderne war die Stabilität sozialer Beziehungen im Fall von Notlagen wichtiger als die Aussicht auf individuelle Zugewinne.

Breite Palette an materiellen, immateriellen und institutionellen Gütern

Der traditionelle Zugang zum Thema Allmenden identifiziert diese fatalerweise mit materiellen Ressourcen. Selbst Anthony Giddens, der die Wichtigkeit handlungsbasierter Strukturierung erkannt hat, trennt strikt Praktiken von Ressourcen. Hier ist ein Umdenken nötig: Gerade die aufwändige Genese kollektiver Praktiken, Entscheidungsverfahen, Rituale usw. erzeugt wichtige Ressourcen dieser Gemeinschaften.

Neben materiellen Ressourcen wie Obst-, Nussbäume, Zuchtvieh, Verkehrswege, Wasser und anderem mehr, schaffen und erhalten korporative Strukturen eine Fülle immaterieller: Rechtshoheiten, korporative Privilegien, Konfliktregelungen, befriedete Räume, Narrative als Grundlage des Selbstverständnisses, (abgestufter) Zugang zu sozialen Räumen, Versorgungsansprüche, Kredibilität, Bildungswesen, Seelsorge (der Pfarrer wurde vom Kirchgut der Gemeinde bezahlt) und mehr.

und wer zahlt befiehlt , was für eine religiöse Ordnung absolut ungewöhnlich war. Dann gehen sie noch nach Rom und kaufen sich aus der Gemeindekasse eine Reliquie, und das höchste der Gefühle ist die eigene Glocke.“ (Schläppi)

Dieses System war gegen politische Krisen sehr resistent. So reagierte etwa während der französischen Besatzung kaum jemand auf die Bürokratie. Die Bewahrung des Korporationsvermögens unter den Mitgliedern erschien den Alten Eidgenossen wichtiger als Steuern an den Staat. Die Idee der Zentralverwaltung konnte sich in der Schweiz nie durchsetzen. Im Wissen um den Stellenwert genossenschaftlicher Vermögen für die lokale Bevölkerung entschieden die politischen Institutionen der Heveltik (Die Helvetik 1798 – 1803. Erstarrte Alte Eidgenossenschaft) in den Jahren 1798/1799 in völligem Gegensatz zu ihren eigentlichen politischen Zielsetzungen, die Auflösung der Gemeingüter zu verbieten (sic!), schließlich konnte sie das Gebiet auch nicht besser verwalten und das Geld hatten ohnehin die Korporationen. In anderen Worten:

die Franzosen konnten das Territorium besetzen, aber nicht die sozialen Strukturen das ist aber nur mit einem starken Konzept des Kollektiven möglich.“ (Schläppi)

Geschlechterverhältnisse in eidgenossenschaftlichen Strukturen

  • Referenzgröße dieser Systeme war der Haushalt
  • Haushaltsvorstand war normalerweise ein Mann
  • waren Frauen Haushaltsvorstand (z.B. Witwen), entschieden sie mit
  • in Zünften konnten Frauen die Betriebe der Männer weiterführen und waren in diesem Fall in den Zünften vertreten
  • Knackpunkt: Erbrecht → heiratete eine Frau aus ihrem Verband heraus, verlor sie bisheriges Korporationsrecht, konnte aber neues erwerben
  • Es gab eine exklusiv weibliche Festkultur, die aus von Frauen gemeinschaftlich gespeisten und verwalteten Kassen finanziert wurde

Schläppi beschreibt das System als „nicht diskriminierend patriarchal“. Die Diskriminierung der Frauen wurde durch „moderne“ Errungenschaften wie die Kranken- und Sozialversicherung verschärft, weil die neuen Institutionen ihre Beiträge zur sozialen Sicherheit nicht mehr als Gegenleistung zur von einem Ehe- /Arbeitspaar gemeinschaftlich erbrachten Arbeitsleistung ausrichteten, sondern an die männliche Erwerbsarbeit koppelten.


4. (Investitions-)Logiken und Innovationsstrategien des korporativen Ressourcenmanagements

Logiken des kollektiven Ressourcenmanagements durchdrangen „schon wegen der schieren Anzahl“ von Genossenschaften Gesellschaft und Politik. Ein Beispiel: im kleinen Kanton Zug gab es mindestens 100 Gemeinde- bzw. Korporationskassen, Fonds, Pfründe, Kirchgemeinden, Stiftungen etc. Es existieren Urbarien, Zinsrödel und unzählige, vielfach Jahrzehnte übergreifende Rechnungspassationen, die spannende Fragen hinsichtlich der politischen Kultur aufwerfen.
Die Erläuterung des Funktionierens dieser korporativen Strukturen von Daniel Schläppi, orientierte sich im Wesentlichen an den Ostrom-Designprinzipien. Diese werden deshalb als Ausgangspunkt des folgenden Vergleichs genutzt:

Designprinzipien für Commons-Institutionen nach Ostrom et al. Umsetzung in der vormodernen Schweiz (nach Primärquellen)
2. Kongruenz: Regeln für Aneignung und Reproduktion einer Ressource entsprechen den örtlichen und den kulturellen Bedingungen. Aneignungs- und Bereitstellungsregeln sind aufeinander abgestimmt; Verteilung der Kosten unter den Nutzern ist proportional zur Verteilung des Nutzens. Nutzungsmodelle und -regeln wurden in steter Anwendung permanent angepasst und erneuert.(Innovation durch Iteration).
Viele Urkunden sahen vor, dass Status Quo alle 10 Jahre neu beschworen werden sollte, was Möglichkeit zu formlosen Änderungen schuf.

Bei Investitionen „stimmte“ i.d.R. Kosten-Nutzenverhältnis. Keine kostspieligen Investitionen, Arbeit bzw. Gemeinwerk war billiger als Geld.

Investitionen waren marktorientiert, aber so, dass Gewinn in der Allmend verblieb: z.B. Förderung einer Walke bei der Schleiferei, aber Brennhaus stand auf der Allmend, um Kontrolle über Holz und Lehm für’s Brennen zu wahren; Versteigerung von Überschüssen aus Wald & Feld an Meistbietende, Einnahmen flossen in Korporationskasse (indirekte Besteuerung), Pacht statt Verkauf > Bewahrung der Ressourcenkontrolle

Verteilungslogik: > Mehr Beiträge > Mehr Nutzungsrechte > mehr Pflichten

– Ungleiche Partizipationsformen für ungleiche Mitstreiter

– Ausnahmen waren normal, z.B. Gebührenerlass für Arme auf Gesuch; Weiderechte für krankes Pferd, Sondernutzung gegen Auflagen … –> Du hast kein Recht, aber mach mal.

– Anpassung von Nutzungschancen an die Betriebsgrösse

Also nicht zwingend Gleichteilung, trotzdem der Versuch, die idealiter formulierte gerechte Verteilung zu restituieren.

3. Gemeinschaftliche Entscheidungen: Die meisten von einem Ressourcensystem betroffenen Personen können an Entscheidungen zur Bestimmung & Änderung der Nutzungsregeln teilnehmen (auch wenn viele diese Möglichkeit nicht wahrnehmen). Paritätische Aushandlungskultur;

Vollversammlung = entscheidet in Sach- und Personalfragen

Routine gemeinsamer Entscheidungsfindung; durch unzählige Versammlungen & Abstimmungen

Vorschläge, die auf die Steigerung des persönlichen Nutzens hinausliefen, mussten soziale kollektive Kontrolle passieren. Selbst wenn Mehrheit zustimmte, wusste man mindestens, wer ein Privileg auf Kosten der Genossenschaft genoss.–> ermöglichte späteres Restitutionsgesuch

Kooperation war über Staats- und Konfessionsgrenzen hinaus möglich und nötig (da Nutzungsrechte an einem Gut vielfältig verschränkt waren)
Nachbarschaftliche Nähe wog; pragmatische Kooperation ließ den konfessionellen Gegensatz in den Hintergrund treten.

Genauste Kenntnis der Ressourcen
(z.B. Wieviel Pflege braucht das Norddach der Kirche im Vergleich zum Süddach?) war Voraussetzung für faire Kostenteilung

Gleichzeitigkeit der Nutzung (dadurch erleichtert, dass ein Gut niemandem allein gehörte), erzwang gemeinsschaftliche Entscheidungsfindung, z.B. am gleichen Nussbaum haben Private, Kloster und Allmendkorporationen Rechte

4. Monitoring der Nutzer und der Ressource: Es muss ausreichend Kontrolle über Ressourcen geben, um Regelverstößen vorbeugen zu können. Personen, die mit der Überwachung der Ressource und deren Aneignung betraut sind, müssen selbst Nutzer
…oder den Nutzern rechenschaftspflichtig sein.
Stete Instandhaltung der Infrastruktur nach damaligen Möglichkeiten, z.B.
– Jährliches Setzen neuer Nussbäume
– regelmäßige Reinigung der Gräben
– Geld an angestellte Mauser
– Aushandeln von Löhnen für Arbeiten, Übernahme der Kosten für Monitoring und Pflege

Einmischung von Unten, z.B. Vorschläge zur besseren Bewirtschaftung durch das Fußvolk –> Amtsführungskontrolle;

Ämterrotation, beschränkte Amtsdauern, aber auch Ämterzwang (für eher unbeliebte Aufgaben).

Abrechnungen (besiegelt durch gemeinsames Essen) und Öffentliche Rechnungspassation gehörten zum Regelwerk –> Den Begriff des Öffentlichen, wie wir ihn heute kennen, gab es damals nicht, aber viele Halböffentlichkeiten und Transparenzregeln. Auch damals wusste man: Öffentlichkeit hat eine geringe Fallhöhe.

5. Abgestufte Sanktionen: sollen in vernünftigem Verhältnis zum verursachten Problem stehen. Bestrafung beginnt auf niedrigem Niveau und verschärft sich bei mehrfachem Regelverstoß. Strafen waren tendenziell milde und mit der Idee der Wiedergutmachung, Entschuldung, Abbitte durch Buß- und Straferlasse oder Umwandlung in Kompensationsleistungen verbunden.

Entscheidend war: öffentliche Sichtbarkeit durch die Strafe umgesetzte Reziprozität oder deren Androhung

6. Konfliktlösungsmechanismen: Konfliktlösungsmechanismen müssen schnell, günstig und direkt sein. Es gibt lokale Räume für die Lösung von Konflikten zwischen Nutzern sowie zwischen Nutzern und Behörden. Modi des Konfliktaustrags:
Vermittlung, Schlichtung, Schiedsgericht – oft in korporativ befriedeten Räumen(z.B. Gaststuben)

– Anhörung und Konfrontation von Streitparteien
– Schlichtung zur Vermeidung von Verfahren und hohen Gerichtskosten, die aufgrund zu befürchtender materieller Verluste auf das Gemeinwesen zurückfallen könnten; z.B. vermittelte ein dritter Ort, wenn es Konflikte zwischen zwei Orten gab
– Kostenteilung

Die wenig formalisierte aber kontinuierliche Kommunikation zwischen eidgenössischen Eliten ermöglichte ein erfolgreiches Konfliktmanagement.

Ein niederer Grad der «Verrechtlichung» begünstigte nicht nur Strategien der Mediation, sondern war auch geldeffizient.

7. Anerkennung: Mindestmaß staatlicher Anerkennung des Rechtes der Nutzer erforderlich, Regeln selbst zu bestimmen Siehe oben; Crashkurs in Geschichte der vormodernen Schweiz

Die Rolle von Ritualen für das Entstehen von Gemeinschaftlichkeit

Der Wunsch nach individueller […] Entfaltung, ohne sich einordnen zu müssen, der Wille zur Distinktion.“ (Schläppi)

…existiert überall. Er konfligiert in der Vormoderne z.B. mit dem Vorhandensein von Ober- und Unterschichten, Eingesessenen und Dazugekommenen. Auch in korporativen Strukturen mussten

Herrschaftliche und ökonomische Hierarchien […] als soziales Faktum akzeptiert werden.“ (Schläppi)

Im Wissen um diese Gegensätze erfinden Gruppen Rituale und Techniken, um hegemoniale Gegensätze entweder zu inszenieren, oder sie zu überspielen bzw faktisch zu nivellieren.
Beides geschieht in korporativen Ritualen gleichzeitig: die Egalisierung und die Veranschaulichung sozialer Distanz (wer hat Zugang zu welchen Räumen?). Bewußt redet Schläppi hier von Gruppen und nicht von «Gemeinschaft», da der Begriff kaum analytisch verwendbar sei. Zielführender sei zu fragen, ob in politischen Entscheidungsverfahren, sozialen Ritualen oder Verwaltungspraktiken korporative Logiken eingelagert sind, ob eine Gruppe ihre Regeln und sozialen Praktiken in Referenz zu […] kollektive(n) Ressourcen selbst definiert.

«Gemeinschaft» ist so gesehen nicht eine Frage des Zusammengehörig-keitsgefühls sondern des gemeinsamen Tuns, aus dem allenfalls aber überhaupt nicht zwingend Gemeinschaftsgefühle entstehen können.“ (Schläppi)

Während also in der Adelsgesellschaft Ungleichheit rituell sichtbar gemacht wurde,
waren Rituale in korporativen Settings darauf ausgerichtet,

entweder Gleichheit zu visualisieren, oder […] die Unterschiede herabzudimmen.“ (Schläppi)

Das erkläre auch das ubiquitäre gemeinsame Essen und Trinken, bezahlt aus der Korporationskasse bei Festen und Verwaltungsakten; während des Schulexamens, an Gerichtstagen, bei Wahlen von Amtsträgern oder Gemeindehirten oder bei Abnahme der Jahresrechnung. Auch die Allmende war Schauplatz des Rituals; von Prozessionen bis zum jährlichen Abschreiten der Allmendegrenzen (beating the bounds).
Zentral ist, dass Rituale gelernt und immer wieder praktiziert werden müssen, um sie zu habitualisieren. Aus diesem Grund erfolgte auch das Abschreiten der Allmend-Grenzen unter Beteiligung von
Kindern, die als Gedächtnis für künftige Generationen wirken sollten.

Vielfältige Vorteile für Angehörige einer Nutzengemeinschaft:

Ressourcentransfer waren immer in korporative Strukturen eingeschrieben. Selbst einfache Leute profitierten von: Handgeldern bei Wahlen, Essenseinladungen, kleine aber stete Anteile an Bündnisgeldern und Pensionen, Feierlichkeiten, privilegiertem Zugang zu Allmende und Gemeindewald, Naturalspenden (Holz, Getreidelieferungen), stabile und möglichst tiefe Preise für lebenswichtige Güter (z.B. Salz), Verzicht des Staates auf direkte Steuern, Zugang zum Kreditmarkt (Korporationen als Kreditgeber), Armenunterstützung, Weihnachtsgelder, Materialien zur Brandbekämpfung usw. Die vielfältigen Leistungen (Spenden von oben, von Amtswegen, aus Nachbarschaften und von unten) waren in ihrem Nutzen für den Einzelnen nicht im Detail quantifizierbar.
Ressourcentransfer erfolgte auch in symbolträchtigen Kontexten, etwa wenn
es darum ging, zwischen unterschiedlichen Sozialgruppen zu vermitteln. Insofern ist auch

profanes Alltagshandeln nach seinem Ritualgehalt zu befragen. […] über vertikale Ressourcentransfers sollten Konsens und Vertrauen gebildet werden.“ (Schäppi)

Aus hegemonialen sollten soziale Beziehungen werden. Großmütiges Geben stiftete aus der Perspektive von unten kollektiven Sinn und Zusammenhalt.

Ist das nun Korruption oder schlicht eine Legitimationsstrategie für persönliche Privilegien? Schwer zu beurteilen, aber eine emanzipatorische Strategie ist es gewiss nicht, vielmehr kam sie den Mächtigen gelegen. Dafür gaben sie Wildbrett oder Hartkäse für Tischgemeinschaften. Diese formierten sich auch jenseits des korporativen Rahmens.
Sie dienten dazu, sich

als Individuum oder Teilgruppe zu inszenieren, oder um funktionale Beziehungen zu verpflichtenden Nahbeziehungen umzuformen. […] Überliefert ist der Fall eines der Ehrverletzung schuldig Gesprochenen, der zur Wiedergutmachung seinen beleidigten Widersacher mitsamt dessen politischem Anhang (mehr als 50 Personen) zu Gast haben musste, eine kostspielige Sache von hohem Zeichencharakter. Eine beachtliche Form der Wiedergutmachung.“ (Schläppi)

Das Ergebnis bezeichnet der Historiker als Kreation einer „informellen Sphäre des Politischen“ über Ressourcentransfer. Eine Sphäre, die eine starke integrative Kraft hatte. Doch unbestreitbar ist die Grenze zwischen Entlohnung und symbolträchtigem Geschenk (in Naturalien oder Wertsachen) nicht mehr eindeutig zu ziehen. Unter Umständen übertrifft der symbolische Wert eines Geschenks oder einer Geste den Sachwert des materiellen Objektes um ein Vielfaches.

Neben der integrativen Stoßrichtung waren gerade im 18. Jahrhundert starke exklusive Tendenzen zu beobachten. Denn die Organisationsstruktur allein garantiert nicht die Bedürfnisbefriedigung aller. Kollektive Ressourcen waren auch (oder wurden immer mehr) „Bastionen der Besitzenden“, die Einstiegshürden für Außenstehende wurde immer höher (i.s.v. teurer); die Vererbung erfolgte exklusiv in Patrilinie, illegitim geborene Kinder waren ausgeschlossen, mitunter gab es Heiratsverbote für arme Korporationsangehörige, auch in der Fürsorge wurde mehr und mehr Geld gespart. DieVertischgeldung war die billigstmögliche, für die Betroffenen aber verheerende Strategie der Armenfürsorge. Bei notorischem Regelverstoß oder krasser Schädigung der kollektiven Ressourcen kam es zu schärfsten Sanktionen, die darauf hinausliefen, den Betroffenen die Subsistenzgrundlage zu entziehen. Ausschluss von gemeinen Nutzungen, Versammlungen, aus dem öffentlichen Raum und, besonders schlimm, der Entzug der Ehre, der jede Geschäfts- und Erwerbstätigkeit unmöglich machte. Ehre war ein Produktionsmittel.
Demgegenüber stand dennoch eine Politik, die den Blick für das größere Ganze behielt und den zentrifugalen Kräften in der Gesellschaft entgegenwirkte. Komplexe Nutzungsverhältnisse mit Nutzungsmöglichkeiten nach Rechten und Verdiensten prägten einen Alltag, in dem es Einkommen zum Auskommen gab.

5. Korporative Logiken
Der Begriff charakterisiert eine Politik, die den

Haushälterischern Umgang mit materiellen Gütern als Strategie zur Strukturerhaltung“ (Schläppi)

pflegt und auf diesem basiert. In ihm wird eine lokale Ökonomie als geschlossener Ressourcenkreislauf vorgestellt wird; in der Regel gelten (trotz Importabhängigkeit) Exportverbote. Das Gebundensein an das Lokale drückt sich auch in verschiedenen Gebühren aus, etwas bei mehrjähriger Abwesenheit, zur Erneuerung der Mitgliedschaft nach Abwesenheit, bei späterer Rückkehr in den Privilegienverband.

Dahinter steckt die Vorstellung, dass

 „ein Individuum am Ort als Produzent, Arbeiter und Verbraucher zur … lokalen Ökonomie beiträgt. Auch wer nicht wohlhabend ist, ist vor Ort mindestens eine günstige Arbeitskraft. Abwesende hingegen hinterlassen eine „Beitragslücke“.“ (Schläppi)

Die Ressourcenbasis (inklusive Bioressourcen, Kapitalien, Gewohnheitsrecht) wird zudem rituell und durch stete Aktualisierung der Nutzungsrechtsordnung erhalten (z.B. bei Notwendigkeit: Beschränkung der Holzschläge oder Weiderechte, Instandhaltungsverpflichtungen, Unterstützung Einzelner zum Erhalt der privaten Bausubstanz – ähnlich wie heute Privateigentümer denkmalgeschützter Objekte vom Staat unterstützt werden). Referenzgrößen der korporativen Ökonomie waren einerseits:

„Genaues Wissen um jeden Nussbaum, der gefällt wird“ und anderseits

„Der Haushalt (nicht das Individuum) […] „Übelhauser“, die ihren Haushalt ruinierten und nicht haushälterisch wirtschafteten, verloren den Anspruch auf ihren Anteil. (Schläppi)

Diese Beiträge an Private machten deutlich, dass

„das Gemeingut subsidiär zur Tragfähigkeit eines Haushalts beitragen sollte. Richtgrösse dabei war die Hausnotdurft, wo mit eine den Bedürfnissen angemessene Ausstattung gemeint war.“ (Schläppi)

Wer aber sein Haus verlottern lässt, bekommt kein Holz.

Auch die Bonitätskontrolle oder die Kontrolle jener, die kollektive Ressourcen besonders intensiv nutzten (Kalkbrenner, Ziegelbrenner, Sensenschmiede, Torfstecher…) waren wesentliche Elemente der korporativen Logik.

Die Wirkung der Geschichte des Korporativen in der Schweiz

  • keine Zentralstaatslogik, extrem ausgeprägter Föderalismus
  • Schweiz ist nicht EU „Wir wollen keine fremden Richter.“
  • Ausländerpolitik: Du wirst nur Staatsbürger, wenn Dich eine Gemeinde akzeptiert hat. Bis vor kurzem haben Gemeindeversammlungen darüber entschieden, ob jemand aufgenommen werden soll. Die Idee: wer die Errungenschaften eines korporativen Systems nutzen will, muss dazu beigetragen haben = Korporationslogik pur
  • Milizparlament (Rat) und Milizarmee
  • jeder Gemeinderat diskutiert über das passende Lehrbuch usw… das ist problematisch, aber enormer Stellenwert der Gemeindeökonomie


6. Thesen und Literaturtipps:
Otto von Giercke: Geschichte des Dt. Genossenschaftsrechts ; 4 Bände (19. Jhd)

Silke Helfrich, Klaus Prätor, Stefanie Haupt und Nele Hofman im August 2013

1Der Begriff bezeichnet die Zusammenlegung von Vermögenswerten, wie sie von aristokratischen bzw. patrizischen Geschlechtern praktiziert wurde, um den Kern des Familienvermögens vor Verstückelung zu schützen. Formal gesehen handelte es sich um Genossenschaften. Entsprechend wurden zur Vermögensverwaltung Reglemente formuliert, Versammlungen abgehalten und Zuständigkeiten zugeschrieben, wobei formelle Gleichberechtigung der Mitglieder sowie Transparenz im Zentrum standen.

2 Gedanken zu „Wer Allmende nicht versteht, versteht die Schweiz nicht

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