Wo Commons lebendig sind, gibt es kein Elend

Drei Thesen zu Commoning als Strategie der Armutsvermeidung.

2. Wo Commons lebendig sind, gibt es zwar Einkommensarmut, aber kein Elend.

Äußerste Armut ist in Ländern mit Gemeingut weniger bekannt. Auch der ärmste Tagelöhner hat wenigstens sein Land für Gemüse und Kartoffeln“,

bemerkte Franz Christoph vor über 100 Jahren über die Gemeinheitsteilungen in Preußen (Christoph 1906: 27). Diese wurde dennoch vor dem Hintergrund der „zur Herrschaft gelangenden Theorie von der Schädlichkeit des Gemeineigentums und dem Vorteil des Sondereigentums“ durchgesetzt (Christoph 1906: 35). Zwar sei die soziale Bedeutung der Allmende nicht zu unterschätzen, betonte Christoph, doch beim Erlassen der Gesetze zur Allmendeteilung

„stellte man sich hauptsächlich auf den einseitigen wirtschaftlichen Standpunkt. Die Steigerung der Produktion durch Zerschlagen des Gemeinbesitzes und Vergeben desselben an Privatpersonen war die Parole. Die soziale Bedeutung der Allmende für die Volkswohlfahrt wurde vollständig übersehen“ (Christoph 1906: 25).

Das ist ein hochaktueller Text, zumal der Autor den engen Zusammenhang zwischen Allmendezerschlagung und Migration betont, die einen wesentlichen Unterschied zwischen Armut und Elend markiert. Nicht umsonst stand das Wort Elend, so die Online-Enzyklopädie Wikipedia1, zunächst für „anderes Land“ und „Verbannung“, erst später für Not, Hilflosigkeit und absolute Armut.

Gut einhundert Jahre später argumentieren Svein Jentoft und Kollegen aufgrund ihrer Untersuchungen zur Kleinfischerei in Bangladesch und Tansania ganz ähnlich. Sie entfalten das Argument, Armutsminderung setze ein Freiheitskonzept voraus, das unter Freiheit nicht freien Zugang zu allem versteht (à la Hardin), sondern sich an Amartya Sens Freiheitsbegriff orientiert, mithin die Freiheit umfasst, über einen Prozess des „öffentlichen Vernunftgebrauchs“ die eigenen Ressourcen zu managen (Jentoft/Onyango/Islam 2010: 345).

Denn mit der Armut verhält es sich wie mit dem Hunger: Nicht zu wenige Lebensmittel sind das Problem, sondern unsicherer und geldabhängiger Zugang. Entscheidend ist aber die Souveränität über die Produktion(sbedingungen) und über die Primärverteilung der Produktionsgrundlagen (Land, Wasser, Biodiversität, Infrastrukturen usw.). Diese bedürfen nach Sen der Berechtigungen und Fähigkeiten der Menschen, ihre Beziehung zu gemeinsamen Ressourcen selbst bestimmen zu können. Fehlende Souveränität über kollektive Ressourcen und der übende, vom Staat geschützte Umgang damit (Commoning) ist eine oft übersehene Armutsursache und Freiheitsbeschneidung.

Armutsbekämpfung muss mit der Erkenntnis beginnen, dass Armut Ausdruck unserer Sozialbeziehungen und gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Sie sagt etwas über die Beziehung zu Dingen, Personen und Institutionen. Institutionen,

„die die Handlungsmöglichkeiten der Armen beschränken, ihnen grundlegende Nutzungsrechte entziehen und sie von der Entwicklung und Ausübung ihrer individuellen und kollektiven Fähigkeiten ausschließen“, erzeugen Armut (Jentoft/Onyango/Islam 2010: 359).

Um also die Handlungsmöglichkeiten und Freiheitsräume der Armen zu erweitern (und sie vor Elend zu schützen), brauchen sie mehr Freiheit, statt oft schwer nachvollziehbare, fremdgesetzte Regeln. Sie benötigen stete Investitionen in die Stärkung von Sozialbeziehungen und Netzwerken, die entscheidend für die Erweiterung ihrer Handlungsoptionen sind. Kurz: lebendige, vielfältige Commons.

Das führt zu weniger Markt- und Geldeinkommensabhängigkeit, weniger Druck auf natürliche Ressourcen, geringerer Verletzbarkeit (vulnerability) der Ärmsten der Armen und zur Stärkung der Selbstheilungskräfte sowie zur Entfaltung individueller wie kollektiver Fähigkeiten – in den Worten der Alternativ-Nobelpreisträgerin Vandana Shiva: zu einem Commons-Netz des Lebens. Darin gibt es gewiss Einkommensarmut und eine große Schlichtheit2, aber kein Elend. Das ist die Trennlinie, die ein Leben in Würde von einem elenden Leben scheidet.

1http://de.wikipedia.org/wiki/Elend, Zugriff am 23. Juli 2013.

2 Noch einmal: Romantisierung ist fehl am Platze.

3 Gedanken zu „Wo Commons lebendig sind, gibt es kein Elend

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