Ich freue mich über diesen Gastbeitrag von Andrea Baier, Christa Müller und Karin Werner, den Autorinnen eines Fotobandes über das neue städtische Räume des Doing Together. Zumindest vordergründig ist es ein Fotoband. Textlich und theoretisch konzeptionell ist er mit feinem Besteck gestrickt. Der folgende Text, den ich in zwei Teilen veröffentliche und der hier zum download bereit steht, bietet einen Einblick in die daran verwobenen Thesen.
Im ersten Teil geht es um:
- Dinge in die Hand nehmen
- Politik der Zeichen
- Bezüge herstellen
Stadt der Commonisten. Neue urbane Räume des Do it yourself
Andrea Baier, Christa Müller und Karin Werner
In den letzten Jahren sind vielerorts Offene Werkstätten, Gemeinschaftsgärten, FabLabs, Repair Cafés, Knit Nites, Maker Spaces, Strickmobs und weitere Räume und Formen des Do it yourself (DIY) in den Blick einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Sie entwerfen mit ihren Kulturen des Selbermachens, des Commoning und der Re-Etablierung von Nahbezügen neue Bilder von Urbanität und reflektieren erste Konturen einer grünen, inklusiven und kooperativen Stadtgesellschaft.
Die neuen Formen des Do it yourself und des Do it together sind eine Antwort auf den tiefgreifenden Transformationsprozess, in dem sich die westlichen Konsum- und Wohlstandsgesellschaften derzeit befinden. Die globale Energie- und Ressourcenkrise ist dabei nur ein Teil der Kulisse, vor der in den Städten bislang unbekannte Räume und Architekturen des Gemeinschaftlichen erscheinen. Sie antworten auch auf die Privatisierung des öffentlichen Raums, auf die Flexibilisierung der Arbeit oder die Beschleunigung und Verdichtung von Zeiterfahrungen.
Im Fokus der neuen DIY-Bewegung stehen Gärtnern, Teilen und Tauschen, Selbermachen, Upcycling, die Umdeutung und Wiederaneignung von handwerklichen Fähigkeiten, die Öffnung von Design und Schaltplänen, das Schaffen von Allmenden, das „Hacken“ von Dingen und das „Hacken“ von Räumen. Ressourcen werden gemeinsam bewirtschaftet, öffentliche Flächen für gemeinwohlorientierte Nutzungen reklamiert.
Die neuen Aktivitäten werden unter Schlagworten wie Sharing Economy, kollaborativer Konsum oder smarte Nutzung öffentlich verhandelt. Sie sind dabei Ausdruck einer höchst pragmatischen Kapitalismus- und Konsumkritik und können als Versuche gelesen werden, die gesellschaftlich zentrale Rolle des Konsumenten produktiv zu wenden.
Charakteristisch für die neuen Projekte ist, dass sie konkrete Antworten geben: Sie veranstalten Repair-Cafés, damit die Dinge länger halten, sie kultivieren die lokale Gemüsevielfalt und thematisieren damit auch den Fleischverbrauch, sie schaffen offen zugängliche Orte, um das Recht auf Stadt für alle zu proklamieren. Viele Protagonisten der DIY-Bewegung sind davon überzeugt, dass nicht das Lamento oder die theoretische Analyse die Welt zum Guten verändert, sondern vor allem eine von vielen kollektiv getragene Praxis, die ein räumlich-materielles Experimentierfeld eröffnet, das nicht zuletzt auch durch die zahlreichen Anregungen der Vielen bzw. der Crowd nach und nach geformt wird.
Die Dinge in die Hand nehmen
Die DIY-Bewegung tritt bewusst als Hybrid auf die Bühne und mixt unbekümmert großstädtische mit handwerklichen und kleinbäuerlichen Ästhetiken und Handlungsrationalitäten, aus ganz pragmatischen Gründen: Das Selbermachen erlebt auch deshalb eine Renaissance, weil es den Beteiligten ermöglicht, die Dinge selber in die Hand zu nehmen. Ihr Ziel ist nicht, hohe Löhne zu erzielen, um sich Waren aus aller Welt kaufen zu können, sondern Wissen, handwerkliches Können und soziale Netzwerke zu teilen, um mit weniger materiellen Ressourcen, dafür aber nach eigenen Vorstellungen und in neuen sozialen Zusammenhängen, zumindest einige Güter und Dienstleistungen selber herstellen zu können und so ein Mehr an Lebensqualität zu erreichen. Die Motivlagen sind unterschiedlich: Einige Aktive versuchen sich in einer größeren Unabhängigkeit vom Marktgeschehen und verschaffen sich Zugang zu Gütern, die sie nicht bezahlen könnten (z.B. hochwertiges Bio-Gemüse), andere verstehen sich erst gar nicht als Konsumenten von Waren: Ihr Selbstverständnis ist eher das von Machern, Schöpfern, Mixern und Findern. In jedem Fall entstehen neue Kollektivgüter, die gemeinsam bewirtschaftet werden – als Basis für Begegnung in einer anonymen Großstadt.
Politik der Zeichen
Die für die Bewegung typische Aneignung und Signierung der Stadt vollzieht sich in Form von kurz- und langfristigen räumlichen Besetzungen (legal und illegal), von Umzügen und Paraden und extrem vielfältig als Street Art. Ihr politischer Impetus ist radikal demokratisch und ihr Verhältnis zu bestehenden Strukturen frisch und respektlos. Man hält sich nicht lange mit Kritik oder Diskursen des „Dagegen-Seins“ auf, sondern übt sich in Inklusivität. Die AktivistInnen gehen nicht in Opposition, sondern antworten experimentell, den Dingen zugewandt und konstruktiv. Sie steigen nicht „aus“, sondern präferieren den praktisch-konstruktiven DIY-Ansatz. Man könnte hier von einem „practical turn“ sprechen. Man versteht sich als PionierIn, auch wenn man dann das damit verbundene Prekäre zu ertragen hat. Das Subjekt der Industriemoderne – ein Arbeitssubjekt und ein Weltunterdrücker – wird entpflichtet. Einer neuen und alle Naturen einschließenden Ökologie und Ökonomie gelten die vielen vollzogenen Suchbewegungen.
Sowohl die urbanen Gärten wie die temporären Werke der Strickguerilla, bepflanzte Einkaufswagen an unwirtlichen Orten oder auch Knit Nites in Abrissimmobilien unterbrechen Sehgewohnheiten. Die geschickt gesetzten visuellen Zeichen und Bilder öffnen damit den Blick auf eine Stadt, in der mitgestaltet und mitbestimmt werden kann. Die urbanen Subsistenztechniken haben sichtbare Gemeingüter geschaffen, die vielerorts sogar zu Medienikonen wurden. Der Ort selbst wird zur Botschaft.
Bezüge herstellen
Man zeigt, dass man grüne, lebenswerte Orte gemeinsam mit anderen und mit den eigenen Händen und Köpfen schaffen kann. Damit ergeben sich Anschlüsse zu Stadtverwaltung und Stadtplanung, die ja ebenfalls im Dienste des Gemeinwohls steht: Wie kann sie in einen konstruktiven Dialog treten und die Interventionen als Anregungen für eine fluide Planung verstehen? Wie können die Flächen mittel- und langfristig abgesichert werden, die nicht nur mikroklimatisch hochwertige Effekte erzielen, sondern auch sozial-kulturelle Freiräume für die Begegnung von unterschiedlichen urbanen Milieus bieten?
In den Projekten steht die Interaktion mit anderen im Vordergrund und nicht der große (fertige) Plan. Es wird via digitaler Medien in die Runde gefragt. Die Einzelnen müssen nicht alles wissen, denn die anderen können immer um Rat gefragt oder um Unterstützung gebeten werden. Niemand ist alleine auf sich selbst angewiesen.
Die ProtagonistInnen haben außerdem ein unverkrampftes Verhältnis zu den bis vor kurzem noch als rückständig geltenden Subsistenzpraxen. Gärtnern, Einkochen, Stricken, Bauen und Imkern erfahren einen deutlichen Imagegewinn, plötzlich gilt es gerade auch unter Jüngeren als Kriterium für Lebensqualität, wenn man Dinge selber herzustellen bzw. anzubauen weiß.
Zum zweiten Teil
Foto via Sebastian Backhaus
Zum Weiterlesen:
Andrea Baier, Christa Müller und Karin Werner (2013): Stadt der Commonisten. Neue urbane Räume des Do it yourself. Bielefeld: transcript, großformatiger Bildband und Glossar, 230 Seiten, 24,90 Euro.
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Hat dies auf Walter Friedmann rebloggt und kommentierte:
Commonistische Lebensstile 1
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