Commonistische Lebenstile (2/2)

Ich freue mich über diesen Gastbeitrag von Andrea Baier, Christa Müller und Karin Werner, den Autorinnen eines Fotobandes über das neue städtische Räume des Doing Together. Zumindest vordergründig ist es ein Fotoband. Textlich und theoretisch konzeptionell ist er mit feinem Besteck gestrickt. Der folgende Text, den ich in zwei Teilen veröffentliche und der hier zum download bereit steht, bietet einen Einblick in die daran verwobenen Thesen. Teil 1 steht hier und nun folgt Teil 2.

Die Themen:

  • Reparieren, Upcyclen, Hacken
  • Zugang statt Besitz
  • Tun aber nicht arbeiten

Stadt der Commonisten. Neue urbane Räume des Do it yourself

Andrea Baier, Christa Müller und Karin Werner

Reparieren, Upcyclen, Hacken

In den neuen Werkstätten und Gärten entwickelt sich folgerichtig ein neues Verhältnis zu den Dingen. Sie werden nicht länger nur als eindeutig definierte Waren betrachtet, die genutzt, verbraucht und weggeworfen werden, sondern als offene und unbestimmte Artefakte. Folglich können sie ein zweites und ein drittes Leben bekommen bzw. nicht nur im vorgesehenen Sinne genutzt werden, sondern ganz anders und immer wieder neu. Milchtüten können zu Minibeeten, Europaletten zu Universalgebrauchsgütern, Senfeimer zu Lampen, Container zu Gartenbars, Krankenhausbetten zu Lastenrädern und ausrangierte Schilder zu Transportkisten werden.

DIY ist insofern eine Variante der Hackerbewegung. Die ProtagonistInnen kapern die vorgefertigten Lebens- und Dingwelten für die eigenen Zwecke. Auch die Vorliebe zur Reparatur ist augenfällig. Gebrauchsgegenstände, die kaputt gehen, werden aufgeschraubt, ihr Innenleben wird ergründet und ein Self-Repair Manifesto formuliert, das den Zugang zu den Schaltplänen reklamiert, um ein Gebrauchsgut wirklich in Besitz nehmen zu können: „If you can’t fix it you don’t own it. – Was du nicht öffnen kannst, das gehört dir auch nicht.“ (www.ifixit.com/Manifesto)

Die planmäßige Verhinderung von Reparaturen gilt den Tüftlern und Technikfreaks nicht nur als ökologisch grundfalsch, sondern auch als Verweigerung eines elementaren Zugangsrechts. Ex- und Hopp-Produkte werden übrigens von breiten Bevölkerungsteilen als Ärgernis empfunden, entsprechend sind die vielerorts entstehenden Repair-Cafés immer voll und von unterschiedlichsten Milieus bevölkert. Dass sich durch Reparatur auch der Geldbedarf reduziert, ist ein willkommener Nebeneffekt. Viele der DIY-Projekte haben den Ehrgeiz, möglichst wenig neu zu kaufen, sondern sich das Nötige irgendwie zu organisieren, und machen bei diesem Versuch die Erfahrung, dass sie sehr viel geschenkt bekommen.

Wohin solche Praxen auf die Dauer führen, bleibt abzuwarten. Klar ist: Wenn man ausgediente Sachen, Verpackungen, Wohlstandsmüll reparieren, upcyclen, umdeuten kann, hat das Auswirkungen auf das Lebensgefühl, dann sind die Dinge plötzlich nicht mehr knapp und die Welt voll von Dingen, die man (um)nutzen kann. Das ermöglicht einen entspannteren Umgang mit Besitz und Eigentum. Man nimmt, was man findet und versucht dabei, möglichst keinen Schaden anzurichten.

Zugang statt Besitz

Ebenso wie die Zeichen flottieren in den Projekten die Dinge. Man tauscht. Die exklusive Inbesitznahme und Zurschaustellung von Gütern ist nicht das Ziel dieses Lebensstils. Vielmehr geht es um die möglichst smarte kollektive Nutzung. Die Akteure gehen auf Abstand zu den herrschenden Besitz- und Eigentumsverhältnissen. Sie beginnen im Kleinen und sehr kreativ mit dem Teilen, und mit jedem Geben wächst die Wahrscheinlichkeit weiterer Anschlüsse. Nehmen ist selten anschlussfähig, Geben aber oft. Dabei legt man zwar eine gewisse Respektlosigkeit für festgeschriebene Eigentumstitel an den Tag, etwa indem man brachliegende Flächen und Häuser für sich beansprucht, jedoch bemühen sich die Akteure meist um Erlaubnis und Verträge. Man zerstört nichts, man baut vielmehr auf, man hegt und pflegt, man gleicht aus, man hilft.

Der neuen Leitvorstellung zufolge ist alles, was man braucht, schon vorhanden, man muss es (oder sich selbst) nur an die richtige Stelle bewegen! Dementsprechend ist die Logistik eine prominente Spielfläche der hier sich entfaltenden Kreativität und Experimentalität. Im Zentrum dieses Denkens steht nicht mehr der einzelne Protagonist oder das einzelne Ding, sondern die Bewegung im riesigen Bewegungsstrom. Auch die überkommenen, meist über Besitzverhältnisse realisierten Zuschreibungen von Individuum und Transportmittel (klassisch etwa dem Auto) werden methodisch aufgebrochen und der elegante und effiziente Fluss (flow), die möglichst reibungslose Bewegung ist das Ziel der Anstrengungen. In diesem Sinne passen die neuen Lastenfahrräder perfekt ins Bild. Oft werden sie aus alten Fahrradteilen zusammengebaut und bei Bedarf von vielen Akteuren genutzt. Das Aufgreifen und Adaptieren dieser in anderen Teilen der Welt schon lange vorhandenen Transportidee erweist sich als neues Erfahrungsfeld: im großen Bewegungsstrom der Stadt haben diese Vehikel Vorzüge. Sie transportieren Menschen und Dinge einfach eleganter. Autos sind oft überdimensioniert und gar nicht notwendig. Autos verstricken die Menschen in eine Technik-Ökologie von unzähligen Bordcomputern und lassen ihnen zunehmend weniger Gestaltungsmöglichkeiten.

Tun, aber nicht arbeiten

Veränderung betrifft auch das Verständnis von bzw. den Begriff der Arbeit. Diese ehemals (auch ethisch) so wichtige Schlüsselkategorie der abendländischen Moderne wird sukzessive ersetzt durch ein künstlerisch-schöpferisches Verständnis des In-der-Welt-Seins und Formens der Welt. Vor allem wird die protestantische Vorstellung auf den Kopf gestellt, dass der Einzelne der Welt mühsam und „im Schweiße seines Angesichts“ knappe Ressourcen abtrotzen muss, um (möglicherweise) Gottes Gnade zu erfahren. Statt zu „arbeiten“, wird heute in erster Linie „gefunden“, geerntet, kreiert, eingegriffen und frei genutzt. Das bedeutet jedoch nicht, dass in den Projekten nicht viel gearbeitet würde oder dass es keine Mühe machte, sie zu initiieren und am Laufen zu halten. Das Gegenteil ist der Fall. Die Projekte beschäftigen ihre GründerInnen oft rund um die Uhr, und gerade weil die neuen Kollektive die mit ihnen verbundene Komplexität nicht über die herkömmlichen Verfahren (Besitz, Autorität, Charisma) reduzieren können und wollen, ist mit ihrer Aufrechterhaltung ein riesiger Aufwand hinsichtlich Abstimmung und Partizipation verbunden.

Die Verabschiedung der industriellen Ratio, ihrer zeitlichen und praktischen Regime schafft Raum für neue Wahrheiten und Ethiken, die den Kanon der Moderne in Frage stellen: Das moderne Machtpositiv der Hegemonie des weißen männlichen Subjekts und die Exklusion und Unterscheidung der „Anderen“ (Unterscheidung der Geschlechter, Ethnien, Klassen, Spezies) verliert an Legitimität. An seine Stelle treten inkludierende, radikaldemokratische Diskurse, die im Alltag ihren Niederschlag finden: es entsteht ein Lebensstil, der ökologisch sensibilisiert und im umfassenden Sinne partizipativ orientiert ist. Die Arbeit an neuen universalistischen Normen ist in vollem Gange. Sie schließen Mensch, Tier, Pflanze und Dinge ein und bauen das traditionelle Verhältnis um: Aus Objekten werden Partner, Commoner, mit denen man innerhalb eines Netzwerks von Interdependenzen verbunden ist. Das Lebensgefühl wird bestimmt durch die Auffassung, dass man Teil (eines größeren Ganzen) ist und teilnimmt. Hierarchie wird durch Kooperation ersetzt. Freundlichkeit und Zugewandtheit sind wichtige Quellen einer Verbundenheit, die nicht nur die Mittel des Verstandes, sondern auch körperleibliche und emotionale Aspekte des (Lebendig)seins sowie ein hohes Maß an Empathie umfasst.

Diese neue und im umfassenden Sinne ökologische Orientierung ist Teil eines Lebensstils, den wir als „commonistisch“ bezeichnen.

3 Gedanken zu „Commonistische Lebenstile (2/2)

  1. Pingback: Commonistische Lebensstile (1/2) | CommonsBlog

  2. Ich würde mich freuen, wenn dieser Wandel auch als ein Wandel der Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte verstanden wird. Wenn diese Lebensstil bzw. Produktionsstil dann produktiver (material) und gesellschaft lebenswerter (kulturell) als das bestehende verstanden wird wären wir noch weiter. Allerdings muss real es auch produktiver sein, dass ist der Fall, wenn wir unsere Wissen (Kapital) als Commons betrachten. Und unser Leben als gemeinsames Leben vieler Menschen gemeinsam betrachten.

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