Ohne Commons keine Postwachstumsgesellschaft.

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Zugegeben, im neuen Audimax meiner alten Alma Mater vor soo vielen Menschen sprechen zu dürfen, fühlte sich besonders an. Ich habe auf dem Eröffnungspanel der 4. Internationalen Degrowth-Konferenz eine ganz kleine Rede über Commons und Degrowth gehalten. Viel Zeit zum Diskutieren war dort nicht. Umso mehr freut mich, dass dies auf dem Workshop „Entwürfe einer Postwachstumsökonomie“ am 01. und 02. Oktober hier in Jena nachgeholt wird. Der Workshop wird vom DFG Kolleg Postwachstumsgesellschaften ausgerichtet. Als Diskussionsgrundlage habe ich Folgendes eingereicht (beruht auf der Rede für die Degrowth-Konferenz). Kommentare sind herzlich willkommen.

Commons und Degrowth

Silke Helfrich, Commons Strategies Group

Commons sind keine leblosen Güter, wie der Begriff ‚Gemeingüter‚ suggeriert, sondern lebendige soziale Prozesse, die sich immer wieder neu herstellen (müssen). Sie sind nicht nur in kleinräumigen Nischen, sondern prinzipiell in jedem Lebensbereich möglich. Commons, so meine These, sind lebendige Ermöglichungstrukturen für eine Postwachstumsgesellschaft. Wer starre Verwirklichungsmodelle und Patentrezepte sucht, wird in der Commonsdebatte nicht fündig.

Im Folgenden möchte ich kurz den von mir vertretenen Commons-Begriff einführen und diese These holzschnittartig begründen.

Man kann Commons nicht passiv vorfinden, sondern nur aktiv herstellen. Beispiel Atmosphäre: Das Vorgefundene ist eine derzeit weitgehend frei1 verfügbare Ressource, die gnadenlos übernutzt wird. Kein Commons. Das ist die eigentliche Tragik, nicht die viel zitierte „Tragik der Allmende“2. Daher drehen sich alle Bemühungen, die (welt-)gemeinschaftliche Nutzung der Atmosphäre zu regeln darum, diese überhaupt erst zu einem „uns Gemeinsamen“ – zu einem Commons – zu machen.

Klar ist also, dass im Kern nicht von Dingen3 die Rede ist, wenn wir von Commons reden, sondern von der Fülle unserer Möglichkeiten und Schwierigkeiten, mit dem, was niemandem allein gehört beziehungsweise gehören sollte – mit Wasser und Wald, Wissen und Software – so umzugehen, dass

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Weiß jemand die Quelle für dieses Foto?

  • niemand „über den Tisch gezogen“ wird (Elinor Ostrom, Wirtschaftsnobelpreisträgerin 2009 pflegte zu sagen: „Nobody Wants to be a Sucker.“)
  • die ‚Dinge‘ auch morgen noch da sind, bestenfalls mehr oder besser
  • sich individuelle Handlungsmöglichkeiten erweitern, ohne die der jeweils Anderen einzuschränken.

Demnach sind Commons – normativ gesehen – Gefüge, in denen sich Fairness, Nachhaltligkeit und Freiheit miteinander verbinden lassen.

Diese Verbindung, so die Überzeugung vieler commoners, gelingt grundsätzlich nur jenseits der Marktlogik und jenseits einer Von-Oben-nach-Unten-Politik. Zudem passt sie mit linearer Prozessgestaltung so wenig zusammen wie mit einer linearen Entwicklungsvorstellung. Vielmehr braucht es Freiraum für Selbstorganisation, Fehlerfreundlichkeit (Versuch und Irrtum) und Redundanz/Iteration, um Commons langlebig zu gestalten. Zumeist Aspekte, die schlecht in eine wachstumsgetriebene Kultur4 passen.

Doch auch commoners leben nicht auf einem anderen Planeten, sondern mitten im Kapitalismus samt seines Wachstumszwangs. Das Umfeld für das, was wir commoning nennen, ist eher schlecht. 8 Stunden Tag, geistige Monokulturen in vielen Bildungseinrichtungen und zentralisierte Infrastrukturen erschweren das (gemeinsame) Experimentieren mit anderen Lebens- und Produktionsformen genauso wie zahlreiche Ver- und Gebote.

Deshalb ist zu diskutieren, welche gesellschaftlichen und infrastrukturellen Bedingungen nötig sind, damit Commoning gelingen kann und mittelfristig so selbstverständlich wird wie heute der Einkauf im Supermarkt. Wie sich also Formen der Bedürfnisbefriedigung und produktiv-kreativer Tätigkeit entfalten können, die nicht auf den Prinzipien des Äquivalententauschs beruhen.

Ein wichtiges Stichwort ist hier: Freies5 Wissen, Freier Code, Freies Design, Freie Technologien und Infrastrukturen6. Nicht nur eine Enzyklopädie, sondern auch jede Maschine ist so gestaltbar, dass sie prinzipiell jeder Mensch verstehen und reparieren könnte. Indem erstens das Design so gedacht wird, dass es nachvollziehbar bleibt und zweitens der freie Zugang zum Produzentenwissen sowie den Bauplänen garantiert ist. Im Kontext von Konkurrenzverhältnissen am so genannten freien Markt ist diese Freiheit schwer zu denken (und noch schwerer zu leben). Für Commons-Schaffende-Peer-Produktion7 hingegen eine Selbstverständlichkeit8, die zudem der Nochhältigkeit9 gut tut.

Das führt zu dem Gedanken, dass ein Ausstieg aus der Wachstumsspirale ohne Freies Wissen nicht möglich ist. Fakt ist: Commoning mindert den Wachstumsdruck, da es in Commons zwar all das gibt, was in anderen Diskursen Kapital genannt wird (z.B. Wissen), aber es gibt keine Kapitalverwertungslogik.

Doch der wichtigste Hebel für das aktive Sich-Herauslösen aus dem Wachstumszwang liegt im sozialen Prozess selbst, der im Zentrum der Commons steht. Dem Commoning. Wachstumskritik(en) können in der Regel keine kohärente, aus eigener Logik entstehende Geschichte über ein Leben in einer Postwachstumsgesellschaft erzählen. Sie schöpfen hierzu aus Geschichten und Handlungsweisen, die in anderen Diskursen stark gemacht werden – Geschichten des Commoning zum Beispiel. Commoning ist ein Leben in der Postwachstumsgesellschaft (so wie es auch Leben in der Pre-Wachstumsgesellschaft gewesen ist). Commoning heißt, den Raum und das Recht haben, beizutragen (was jede_r kann), mitzuentscheiden, gemeinsam Probleme zu lösen oder Dinge voran zu bringen. Das ist bedürfnisbefriedigend, ohne künstlich Bedürfnisse zu wecken.

Commoning kann eine Vielfalt von Produktionsformen anstoßen, in der es um das Herstellen von Commons für die Menschen geht, statt um die Produktion von Waren für den Markt, der ständig wachsen muss. Darin stellt sich stets zuerst die Frage: Was brauche ich? Statt: Was will ich verkaufen? Das stiftet sehr praktisch eine suffiziente Wirtschaftsweise an, die nicht zwanghaft wächst. Denn und das ist der entscheidende Unterschied: Suffizienz ist in der kapitalistischen Verwertungslogik gar nicht möglich, während Commoning diese Möglichkeit zumindest eröffnet – ihre Einlösung aber nicht garantiert. Soziale Prozesse sind komplex und offen. Das müssen wir aushalten. Doch zumindest wird in Commons die Diskussion von Suffizienzstrategien in den sozialen Raum geholt und dadurch im Bereich eigener Gestaltungsmächtigkeit sichtbar gemacht, verhandelt und – bestenfalls – umgesetzt.

Fazit: Es kann Commons ohne Postwachstumgesellschaft geben, aber nicht umgekehrt.

Jena, den 22.09.2014

1 im Sinne von kostenlos

2 Vgl. Garret Hardin: The Tragedy of the Commons. Science Nr. 162 (1968), 1243–1248.

3 Ressourcen, Gütern

4 Im Grunde geht es in der Commonsdebatte – so wie in der Postwachstumsdebatte – nicht um eine andere Politik oder Wirtschaft, sondern um eine andere Kultur. Eine Kultur, die ‚Werdigkeit‘ (>werden) mehr schätzt als ökonomische Wertigkeit.

5 Frei hier im Sinne von Freiheit.

6 Als Bedingung für Plattformneutralität; vgl. Michael Seemann: http://www.ctrl-verlust.net/glossar/plattformneutralitat/ (Zugriff am 22. September 2014)

7 Eine etwas unglückliche Übersetzung von Commons Creating Peer Production. Der Begriff beruht auf einer Weiterentwicklung des von Yochai Benkler geprägten Begriffs „Commons Based Peer Production“. Er betont, dass im Grunde jegliche Produktion commons-basiert ist, dass es aber darauf ankommt, Commons zu (re-)produzieren, nicht nur aus ihnen zu schöpfen.

8 Zugangsfragen sind Eigentumsfragen. Es ist eine Stärke der Commons-Debatte, dass sie die Eigentumsfrage aktiv aufgreift, auch auf immaterielle Dinge bezieht und kreativ wendet, also über das klassische „öffentlich“ versus „privat“ hinaus weist.

9 Aufgeschnappt bei Veit Urban vom Land Leben Kunst Werk.e.V. Quetzdölsdorf.

6 Gedanken zu „Ohne Commons keine Postwachstumsgesellschaft.

  1. hallo silke,

    liest sich doch ganz gut. du hast es im modus „allgemeinen denken“ klar formuliert. die hinwendung zu konkreten beispielen und visionen fehlt mir. wie soll man* in der 20 stunden postwachstumswoche leben und arbeiten?

    herzliche grüße
    nikolai

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