Das Gefühl der Sinnlosigkeit im Angesicht des Terrors

Was sich gerade unerträglich anfühlt: mir kommt meine ganze Arbeit angesichts der Lage der Welt so klein und sinnlos vor“.

Liebe Silke,

es mag Dir merkwürdig erscheinen, dass ich Dir einen Brief auf dem Commons-Blog schreibe. Aber Dein Twitter-Post heute Morgen hat mich sehr berührt und ich möchte dazu einen kleinen offenen Brief an Dich schreiben.

Was im Moment passiert, das scheint an Grausamkeit und Irrsinn unüberbietbar. In Paris ermorden ein paar Religionsfanatiker 129 Menschen auf Konzerten, in Cafés oder einfach auf der Straße.

In Bangladesch quälen Markthändler einen Elfjährigen zu Tode, filmen diese Monstrosität und stellen das Video ins Internet. Sie werden jetzt am Galgen hingerichtet. Nachdem ich dumm genug war, diesen Film anzusehen, brauchte ich Stunden, um wieder zu Argumenten gegen die Todesstrafe zurückzufinden.

Im Mittelmeer ertrinken täglich Flüchtlinge – Männer, Frauen, Kinder – weil sie nicht begreifen wollen, dass unser Boot voll ist. Unser Wohlstand würde leiden, wenn noch mehr kämen. Wir müssten auf die Sitzheizung in unserem SUV oder auf ein bisschen Übergewicht verzichten. Und das geht nun wirklich nicht. Das beunruhigt die Menschen. Sie gehen auf die Straße und protestieren. Nicht gegen den Krieg, gegen Folter, Hunger und Durst, nicht gegen Global Warming und die dadurch verursachte Ausweitung der ariden, unbewohnbaren Zonen auf unserem Planeten, sondern gegen die Menschen – Männer, Frauen und Kinder – die vor diesen Problemen, der Perspektivlosigkeit und der Armut in ihrer Heimat entfliehen.

Und wie reagiert unser politisches System? Die Steuermänner unseres Schicksals?

Hilflos!

Sie strahlen Häuser in den französischen Nationalfarben an. Sie stehen Seite an Seite mit dem französischen Volk. Sie wollen gemeinsam in den Krieg ziehen gegen den Terrorismus. Das Pentagon soll wieder in unbegrenzten Budgets schwelgen und der Kreml wird auf dem G20-Gipfel gedrängt, gemeinsam mit den US-Amerikanern, den Briten, den Franzosen und den Saudis Seite an Seite, Schulter an Schulter in den Krieg zu ziehen.

„Mit wem?“, könnte man da fragen. „Ja aber“, könnte man da sagen. Aber wozu? Mit solchen Details können wir uns nicht aufhalten, wenn die zivilisierte Welt gegen das Böse in den Krieg zieht. Wenn die Heere des Lichts zu ihrem Kreuzzug ins Reich Mordor aufbrechen, um Mittelerduropa  vor Sauron, dem Nekromanten zu bewahren.

Und die Presse? Der gute alte Qualitätsjournalismus, dieser Hüter unserer demokratischen Kultur?

Er posaunt rund um die Uhr dümmliche Pseudoinformation durch den Äther. Wetteifert darum, wer zuerst die halbwegs zuverlässig höchsten Opferzahlen twittern kann, um so den Eindruck maximaler Kompetenz zu vermitteln.

Es scheinen Täter gewesen zu sein! Soviel ist sicher. Vermutlich Islamisten! Und wenn nicht, wird uns diese Spekulation ohnehin niemand verübeln. Wahrscheinlich sind sie über Griechenland mit dem Flüchtlingsstrom gekommen. Wie auch sonst?

Griechenland? Was war da noch?

Welt Tweet

In „Belgiens Terrornest“, so twittert DIE WELT, fallen islamistische Terroristen nicht auf. Offenbar, weil auf dem Bild Kinder zu sehen sind und Frauen mit Kopftüchern. Ich reiche eine Beschwerde wegen des Tweets beim Deutschen Presserat ein, was natürlich lächerlich ist, aber immerhin bekomme ich Antwort vom „Dein WELT-Social-Team“. Es sei ein Fakt, so schreiben sie mir, dass viele Fäden der Attentate in den letzten Monaten dort in Belgien zusammenlaufen.

Dort? Auf diesem Markt? Zwischen den Frauen und Kindern? Zwischen Äpfeln, Ananas und Mangos?

„Darum berichten wir darüber – übrigens völlig sachlich“, meint das Team, das ich jetzt wegen Beleidigung verklagen werde, denn ich lasse mich nicht duzen von DIE WELT Social-Team-Mitarbeitern die ein Vierteljahrhundert jünger sind als ich. Ein solches Benehmen passt nicht zur deutschen Leitkultur.

Wie kann ich so etwas schreiben? Mich lustig machen, über eifrige Informationsplapperer unter dem Eindruck eines derart grausigen Verbrechens, das mich selbst kaum schlafen lässt?

Weil ich ermüde. Weil es mir zu dumm wird, diesem Blödsinn Aufmerksamkeit zu schenken. Weil es mir nicht gut tut, mich mit Bildern und sogenannter Information zu quälen, die irgendwelche zwitschernden Jungjournalisten durch den Äther gackern und mir als Lage der Welt verkaufen wollen.

Mich quält die Vorstellung, dass geisteskranke Fanatiker im religiösen Wahn auf offener Straße Menschen erschießen, die meine Kinder oder meine Freunde sein könnten. Einfach so. Um ihre Befähigung zur Grausamkeit unter Beweis zu stellen. Um einen Cock-Contest mit den Großen dieser Welt zu veranstalten und ohne dabei zu merken, dass sie nur als die größten Arschlöcher aller Zeiten in die Geschichte eingegangen sind.

Aber mich quälen eben auch noch immer die Bilder der Eltern dieser 43 in Iguala entführten Studenten, die bis heute spurlos verschwunden sind.  Niemand zieht in einen neuen Weltkrieg, um sie zu bergen. Niemand bestrahlt Gebäude in den mexikanischen Nationalfarben. Warum eigentlich nicht?

Mich quält auch der Schmerz der Angehörigen dieser 146 Menschen, die einem Angriff auf die Universität von Garissa zum Opfer fielen. Die Flagge Kenias kenne ich gar nicht.

Ich könnte diese Liste von Grausamkeiten, die mich quälen endlos fortsetzen, von den Opfern von Napalm, Folter und Vergewaltigungen in Vietnam über die Opfern des Genozids in Ruanda, bis hin zu den vergessenen Opfern der Ebola-Epidemie in Westafrika. Von den Zwangsprostituierten, die man von Nepal nach dem Erdbeben in indische Bordelle verschleppt hat bis hin zu den 8 Kinderleichen, die man dieser Tage in Franken entdeckt hat.

Alle diese Bilder sind ein Kaleidoskop des Horrors, ein Höllenschlund, den selbst der große Hieronymus Bosch nicht zu malen vermochte.

Hannah Arendt zitiert Churchill mit den Worten: „Alles, von dem ich sicher war, dass es unmöglich ist, oder dessen man mich gelehrt hatte sicher zu sein, dass es unmöglich ist, hat [in meinem Leben] stattgefunden.“

Diese Dinge finden statt, aber die Lage der Welt ist so trotz allem nicht. Sie besteht nicht nur aus Mord und Totschlag, aus Terroranschlägen, Enthauptungen, Hinrichtungen und Folter. Die Welt ist nicht das, was Medien kurz vor dem Ruin uns skizzieren. Es gibt nicht nur die Hilflosigkeit der Großen dieser Welt, die nun wieder mit Flugzeugträgern gegen religiöse Fanatiker zu Felde ziehen werden, dabei keine Sicherheit erzeugen, aber Tausende Tonnen von Porzellan zerschlagen werden. So, wie sie das eben seit Menschengedenken schon tun.

Von Dir habe ich gelernt, worin die mögliche Lösung liegt. Es sind die gelingenden Beziehungen zwischen den Menschen. Auf Augenhöhe. Die Sphäre der Commons oder wie man das auch immer nennen mag. Es ist schon richtig, dass man von einem Sack voll Korn kein Dorf ernähren kann. Aber daraus abzuleiten, dass ein Sack voll Saatgut „so klein und sinnlos“ wäre, dass man den Mut verliert ihn auszustreuen, das wäre töricht. Ob Eure „ganze Arbeit“ sich lohnt, das weiß ich nicht. Niemand kann das wissen. Es wird sich zeigen. Man muss die Saat ausbringen, damit man im Frühjahr das Gras wachsen hört. Denn ohne das zarte Geräusch von wachsendem Gras bleiben das Knallen der Schüsse von Paris und die Schreie der Getroffenen in aller Welt unerträglich.

B.

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6 Gedanken zu „Das Gefühl der Sinnlosigkeit im Angesicht des Terrors

  1. Ich teile sowohl die Betroffenheit als auch das Gefühl der Ohnmacht. Ich weiß aber auch aus lebenslanger Erfahrung, daß Notwehr und Nothilfe mitunter ethisch gefordert sind. Das gilt auch für die Demokratie und die Menschenrechte. Nach unserem Verfassungsverständnis Nebentischen das „wehrhafte Demokratie“. Wie also sollen wir uns vor der Mordlust und der Grausamkeit des IS schützen. Und was erfordert unsere Notstandshilfe gegenüber den Menschen in Syrien und Irak, die der tollwütigen IS wehrlos ausgeliefert sind?

  2. Ja lieber Jakob B.,

    die menschliche Zivilisation befindet sich im fortgeschrittenen Stadium
    der Selbstzerstörung. Explodierende Kernkraftwerke könnten unseren begrenzten Lebensraum noch den Rest geben…

    Ich habe den logischen Zusammenhang zwischen der Natur, dem einzelnen Menschen und der Gesellschaft hergestellt. Es beginnt bei den physikalischen Grundlagen und geht weiter mit dem Verstehen, wie ein Mensch „funktioniert“. Nimmt man beides zusammen, kann man verstehen, warum sich Gesellschaft meistens in die Form einer Pyramide entwickelt. Die Pyramidengesellschaft ist nicht stabil und produziert die ganzen Probleme. Wichtig ist auch die Rolle der technologischen Entwicklung zu verstehen und welche Auswirkungen das für die Gesellschaft hat.

    Wenn man den Zusammenhang so akzeptiert, ergibt sich, dass die Gemeingüterwirtschaft die einzige Lösung ist:

    Das gemeinschaftlich wirtschaftende Stammesmodell, bei dem der Anführer gewählt wird, muss in die heutige Technologiegesellschaft entwickelt werden, wenn eine Zivilisation in einer Technologiegesellschaft dauerhaft überleben möchte.

    Diese Erkenntnis hat sich mir aus dem großen Zusammenhang erschlossen, bevor ich den Begriff „Commons“ überhaupt kannte.

    Ich habe einen realistischen Weg entwickelt, wie wir uns in eine stabile Gesellschaft entwickeln könnten und diese möglicherweise dann stabile Gesellschaft skizziert. Und ich behaupte, dass auf Grund der evolutionären Konvergenz, jede andere Zivilisation intelligenter Wesen, also auch die möglichen Außerirdischen, sich ebenfalls genau so entwickeln müssten.

    Ich kommentiere ja hier im commonsblog seit einiger Zeit immer mal
    wieder. Leider bist Du ja nie darauf eingegangen. Hast Du einmal auf
    meine Internetseite geschaut und Dich mit meinen Argumenten beschäftigt? Wäre die Commons Strategies Group mal bereit, sich meine logische Argumentationskette anzuschauen?

    Nach meinem derzeitigen Erkenntnisstand, liegt die Lösung klar auf
    der Hand. Das Grundproblem sind also nicht die fehlenden Lösungen, sondern die Höherwichtung von persönlichen Meinungen gegenüber objektiven Messprozessen, also Ideologie. Das gipfelt dann in dem fanatischen Auftreten der IS-Kämpfer…

    Wenn man eine andere Gesellschaft möchte, muss man selber damit
    beginnen, die zu bauen. Dann weicht auch das Gefühl der Hilflosigkeit. Wenn man nur darauf wartet, dass Andere beginnen, wird sie nicht kommen. Ich lese immer wieder solche Kommentare vom Gefühl der Hilflosigkeit (Sinnlosigkeit). Doch wenn dann mal jemand kommt, der Vorschläge macht, dann wird der kaum wahrgenommen.

    Falls Interesse an Kommunikation und Diskussion besteht (auch seitens der CSG), gern.

    Viele Grüße
    Roland Dames

    • Lieber Roland. Es stimmt schon, man müsste vielleicht auf jeden einzelnen Kommentar näher eingehen und in der Regel tue ich das auch. Zumindest lese ich jeden. Andererseits ist der Blog ja keine Plattform für Dialoge, sondern eher für „Polyloge“ oder wie immer man das nennen will.
      Ich habe mir Deine Argumentation angesehen, aber ich teile einige grundlegende Gedanken nicht. Die Idee, Sinnesorgane seien Messinstrumente, aus denen unser Weltbild entsteht, das ist mir bei weitem zu physikozentrisch. Die Physik selbst ist für mich Teil unseres Weltbilds und nicht umgekehrt. Das soll aber kein Gegenargument sein. Mir erscheint es einfach nicht sinnvoll, eine Art von kosmologischem Gesamtzusammenhang zu generieren, aus dem sich der Sinn zwischenmenschlicher Kooperation ableitet. Das ist für mein Gehirn einfach zu groß, auch wenn ich den Ansatz irgendwie sympathisch finde.
      Vor allem sehe ich aber auch unsere Zivilisation nicht “ im fortgeschrittenen Stadium der Selbstzerstörung“. Was sich im “ im fortgeschrittenen Stadium der Selbstzerstörung“ befindet, das ist die Welt die anachronistische Medien uns in ihrem Todeskampf skizzieren. Das Gift und Galle, die sie dabei versprühen, hat allerdings ziemlich ätzende Wirkung auf unser Gemüt.

  3. “Was sich gerade unerträglich anfühlt: mir kommt meine ganze Arbeit angesichts der Lage der Welt so klein und sinnlos vor”.
    ————-

    Niemals ist es das !
    Vielleicht ist es hilfreich daran zu erinnern, dass wir alle – die an einer besseren Lebensumgebung für alles Leben arbeiten – schon unglaublich viel geschafft haben, nur dass diese Welt noch im Unsichtbaren für die meisten Menschen liegt (und auch viele der Akteure leider nur den eigenen Aktionskreis wahrnehmen). Und dass die Mainstream-Presse uns ein Weltuntergangsbild malt, dass der gesamten Situation kein bißchen entspricht, um Angst zu verbreiten.
    …Menschen unter Angst sind leichter zu regieren + und in die Richtung zu lenken, die man haben möchte – ein offenes Psychologie-Geheimnis….

    Ein etwas versteckteres Geheimnis ist:

    Wo die Aufmerksamkeit ist, da geht die Energie hin.

    Was macht in dieser Hinsicht also wohl mehr Sinn – sich auf die ständig neu produzierte negative Berichterstattung zu konzentrieren oder auf die Welt, wie wir sie haben wollen und auf diesem Weg voran zu gehen ?

    In diesem Sinne: Nicht eine Einzige Bemühung für eine bessere Welt ist klein oder umsonst oder sinnlos ! Wir sind alle verbunden…. der vielgerühmte Sack Reis, der in China umfällt hat eine Wirkung !
    Machen wir unbeirrt weiter – wir sind mehr als die, die gegen das Leben sind 🙂

  4. Pingback: Die Welt der Commons. In einer Welt des Terrors? | CommonsBlog

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