Teil II:
Staat und Ökonomie – Ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis
Ein wesentlicher Ansatzpunkt emanzipatorischer Staatskritiken besteht darin, Staat und Ökonomie nicht als voneinander getrennt, sondern als strukturell und funktional miteinander verbunden zu analysieren. Staatlichkeit ist demnach in den Gesamtzusammenhang gesellschaftlicher Reproduktion eingebettet und von diesem abhängig. So gesehen ist der Feudalstaat notwendigerweise ein anderer als der kapitalistische Staat und dieser wiederum anders als ein Staat, der eine sozialistische Planwirtschaft stützt. Die These impliziert, dass es etwas Spezifisches am Staat im Kapitalismus, im Sozialismus, im Feudalismus usw. gibt. Nicht im Sinne einer spezifischen Funktion oder eines spezifischen Ziels, sondern im Kern dessen, was ihn ausmacht.1 Daher wäre es präziser, vom „kapitalistischen Staat“ oder „sozialistischen Staat“ oder „feudalistischen Staat“ zu sprechen, um die in das Wesen des jeweiligen Staates eingeschriebene spezifische Eigenschaft zumindest mitzunennen.
Eine Erklärung für die Relevanz dieser Redeweise bietet der italienische Philosoph Antonio Gramsci im Kontext seines Konzepts der „kulturellen Hegemonie“. Gramsci fasst – vor etwa 100 Jahren – den Staat als „Zwangsapparat“, der genutzt werde, um die „Volksmassen“ mit den Bedarfen einer spezifischen Produktionsweise in Übereinstimmung zu bringen.2 Dabei ginge es nicht unbedingt mit Gewalt zu, sondern eher mit Methoden der Mobilisierung des gesellschaftlichen Konsens‘. In den 1970er Jahren illustriert Michel Foucault diese Analyse am Beispiel unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems und spricht dabei etwas sanfter von der „aktiven Gouvernementalität“:
„Der reine Wettbewerb soll und kann nur ein Ziel sein, ein Ziel, das folglich eine äußerst aktive Politik verlangt. […] die Regierung […] die Marktwirtschaft von vorne bis hinten begleiten [muss].“ (Foucault; GBP: 173/174)
Weitere 40 Jahre später bringt Bundeskanzlerin Angela Merkel den Zusammenhang zwischen Staat und Ökonomie mit ihrem Diktum von der „marktkonformen Demokratie“ noch einmal auf den Punkt. Diese hat zwar in Europa oder Deutschland eine andere Ausprägung als in den USA oder Argentinien, doch das Angewiesensein auf das Wohl und Wehe des Marktes sowie die explizite Funktion des Staates, möglichst für Ersteres zu sorgen findet sich überall.
Aus der feministischen Analyse wissen wir zudem, dass und inwiefern moderne Staatlichkeit auf geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung beruht (z.B. im Form des Ernährermodells oder der Hausfrauisierung). Der Staat organisiere, so das Argument, das Zusammenwirken von warenförmiger Ökonomie (Produktion/ männlich konnotiert) und nicht-warenförmiger Ökonomie (Reproduktion/ weiblich konnotiert) in einem extraktiven Verhältnis (vgl. Ludwig, 2014:35). Ein aus der Geschichte der Commons nur allzu bekanntes Muster.
All dies erscheint mir als interessanter Einstiegspunkt in die Debatte, führt es doch zu der Ausgangsthese, dass die Frage nach dem Verhältnis von Commons und Staat/-lichkeit nicht sinnvoll diskutierbar ist, solange nicht über eine commons-schaffende Peer-Ökonomie3 nachgedacht wird.
Zugespitzt formuliert: staatliches Handeln, welches Commons effektiv fördert und schützt sowie diskriminierungsfreie Infrastrukturen für Commons und P2P Prozesse ermöglicht, kann unter den gegenwärtigen Bedingungen kapitalistischer Marktwirtschaft zwar punktuell gelingen, ist aber strukturell zum Scheitern verurteilt. Das erklärt zumindest teilweise, warum etwa links gerichtete Regierungen in Lateinamerika, indem sie im globalen Wettbewerb weiter auf extraktivistische Ökonomien setzen (wenngleich mit einer höheren Umverteilungskomponente) systematisch mit Commons/ Commoners in Konflikt geraten.
Fußnoten:
1 Zur Spezifik des kapitalistischen Staat vgl. Marx, Luxemburg, Gramsci sowie verschiedene feministische Staatstheoretikerinnen. Marx bestimmt „die verallgemeinerte Warenform“ als das Spezifische am Kapitalismus und stellt fest, dass der Staat diese reproduziere, ihr entspreche.
2 Die Machtbasis des Staates ist nach Gramsci kulturelle „Hegemonie gepanzert mit Zwang“, eine Analyse, die angesichts der Dominanz bestimmter Denkmuster noch immer relevant erscheint.
3 Friederike Habermann spricht von Ecommony.
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