Statehood and Common/ing (3/4)

…jenseits der Rede von Gemeinschaft vs. Gesellschaft

Teil I, Teil II
Teil III

Staat/-lichkeit und Common/ing

Abstrakte Bestimmungen von Commons/Commoning und Staat/-lichkeit sind so ähnlich wie wenig erhellend.Commons Staat allg Def

Commons, verstanden als generative Prozesse zwischen Peers, die sich über digitale Plattformen selbst organisieren, sind gewissermaßen grenzenlos, staatsgrenzenlos ohnehin. Doch auch Commons verstanden als sozio-ökologische Systeme, in denen alle ein Mitspracherecht haben, die von diesen Systemen betroffen sind, sind staatsgrenzenlos, wenngleich begrenzt. Hier wird die Frage nach dem Innen und Außen nicht überflüssig, doch sie verschiebt sich. Es geht nun darum, erfolgreiche Muster von governance within commons zu identifizieren. Darin sind staatliche Akteure nicht dominant, aber auch nicht zwingend absent. Entscheidend ist der Grundsatz, der im 7. Designprinzip für langlebige Commons-Institutionen von Elinor Ostrom et al formuliert ist: Es muss ein Mindestmaß staatlicher Anerkennung des Rechtes der Nutzer_innen geben, ihre eigenen Regeln zu bestimmen.

Damit ist zweierlei gesagt:

  1. aus Commons-Perspektive kann „den Staaten“ nicht der globale Verhandlungstisch überlassen werden und
  2. auch staatsgrenzenüberschreitende Governance Fragen sind so weit als möglich unter Berücksichtigung des 7. Designprinzips anzugehen, so dass die jeweils betroffenen Bevölkerungen so oft wie möglich zusammenkommen und mit entsprechenden Mitteln, Verfahren und Qualifikationsmaßnahmen unterstützt werden (vgl. Great Lakes Commons, King of the Meadows, Biocultural Protocols, The System of Rice Intensification, u.v.m.)

Denn zu groß ist die Gefahr, dass sich im internationalen Verhandlungspoker Regierungsdelegationen „im nationalen Interesse“ der Macht des Marktes oder der Macht mächtigerer Staaten beugen (müssen).

Das ist leicht zu kritisieren, doch da es für commons-basierte-(globale) Governance keine Rezepte gibt, möchte man fast F. Hayek mit seiner Warnung vor der „Anmaßung des Wissens“ ernster nehmen:

Wenn der Mensch in seinem Bemühen, die Gesellschaftsordnung zu verbessern, nicht mehr Schaden stiften soll als Nutzen, wird er lernen müssen, daß er in diesem wie in anderen Gebieten, in denen inhärente Komplexität von organisierter Art besteht, nicht volles Wissen erwerben kann, das die Beherrschung des Geschehens möglich machen würde. Er wird daher, was immer er an Wissen erwerben kann, nicht dazu verwenden dürfen, um die Ergebnisse zu formen wie der Handwerker sein Werk formt, sondern ein Wachsen zu kultivieren, indem er die geeignete Umgebung schafft, wie es der Gärtner für seine Pflanzen macht.“ (Hayek, 2007, S. 98).

Eine Frage von Primavera de Filippi kommt hier zum Tragen: Liegt in algorithmusbasierten Governanceideen (z.B. blockchain basiert), die frei vom Zugriff des Staates sind, liegt also im „Code your own Utopia“ ein totalitäres Element? Eben jenes, dass das Ergebnis geformt wird, als Ein-für-Allemal-Fertiges und nur noch vom Algorithmus kontrollierbares, das nicht rückholbar und sozialen Systemen so unangemessen ist. Oder wie kann die Freiheit, die eigenen Regeln zu bestimmen tatsächlich zu mehr Fairness, Freiheit und Nachhaltigkeit für alle beitragen?

Für die konkrete Praxis der Vermittlung in Commons ist der noch weithin untertheoretisierte Begriff des Commoning zentral. In den Worten Paul Chattertons:

The common […] is made real through the practice of commoning, which reflects, not so much a set of bounded, defensive or highly localised spatial practices, but dynamic spatial practices. Rather than a simplified, monolithic entity, the common is complex, and relational.“ (Chatterton, 2010: 625)

Es ist dieser Gedanke der Relationalität, des In-Beziehung bzw. nicht hintergehbaren Aufeinander-Bezogen-Seins, der für verschiedene Commons-Diskurse so grundlegend ist (und im übrigen eine Wende in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen markiert). Dabei ist er keineswegs nur auf interpersonale Beziehungen reduziert. Dem In-Beziehung und Aufeinander-Angewiesen-Sein können wir uns auch auf gesellschaftlicher Ebene nicht entziehen. Bob Jessops relationale Staatstheorie ist hier hilfreich, weil sie die Verhältnisbezüglichkeit aller sozialen Prozesse in den Blick zu nehmen versteht. Der Ausgangspunkt: Nicht der Staat selbst handelt (schließlich kann er abstrakt nicht dingfest gemacht werden), sondern spezifische Gruppen. Für die Machtfrage heißt das:

„the state does not (and cannot) exercise power; it is not a real subject“ (Jessop 1990: 366)

Vielleicht ist die in der modernen Soziologie1 verankerte Dualität von Gemeinschaft und Gesellschaft aufzugeben, zugunsten eines Gemeinschafts-Gesellschafts-Kontinuums. Die seit zwei Jahrzehnten aufkommenden so genannten communities 2.0 oder (globale) P2P Netzwerke sind schließlich nicht eindeutig dem ein oder anderen zuzuordnen. Entlang dieses Kontinuums strukturieren sich die sozio-ökonomischen Verhältnisse im Ergebnis sozialer Aushandlungs- und Konfliktlösungsprozesse jeweils konkret aus dem Kontext heraus.

Gemeinschafts-Gesellschafts-Kontinuum

Denken wir das Gemeinschafts-Gesellschafts-Verhältnis als Kontinuum, so gibt es keinen überzeugenden Grund, warum commoning an einem spezifischen Punkt auf diesem Kontinuum enden sollte. Lässt sich also auch das Ganze, die Gesellschaft als Commons denken? Können auch Institutionengefüge der Staaten sowie deren Handlungslogiken Commonsprinzipien unterworfen sein? Kurz: Können wir Staat/-lichkeit als Commons denken? Und damit mehr als Commons-Public-Partnerships? (Wobei Letzteres selbstredend ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung wäre.)

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Commons Prinzipien finden sich

  1. auf institutionell-organisatorischer Ebene, etwa die Designprinzipien für langlebige Commonsinstitutionen nach E.Ostrom (s.u.), die auch auf die digitale Welt übertragbar sind

  2. auf Ebene der Gestaltung einer Commons-Ökonomie und

  3. bezogen auf die Akteur_innen selbst, dh. sie sind auf die Subjekte der Commons gerichtet (machen uns also durch die Anwendung zu „commoners“, so wie rechnendes Denken – etwa durch unzählige alltäglich Kaufakte – zum berechnenden Denken wird uns uns zum Homo oeconomicus macht. Ich nenne sie: Prinzipien des Commoning:

zu 2. Prinzipien einer Commons-Oikonomie2

  • Nutzungsorientierung statt Eigentumsorientierung

  • Beitragen&Teilen statt Kaufen&Verkaufen

  • Beziehung stiften statt Kapital häufen

  • Care & Biopolitische Arbeit statt Löhne & Arbeitsplatz

  • Modularität & Granularität

  • Zeitverausgabungslogik statt Zeiteinsparungslogik

  • Fülle statt Knappheit

zu 3. Prinzipien des Commoning

Nach dem Synetopia-Protokoll von Henry Tam3:

S hared Mission
Y ou-and-I Mutuality
N imble Membership
E ducative Collaboration
T esting of Claims and Assumptions
O pen Access to Information
P articipatory Decision-Making
I mpartial Distribution of Power
A ccountability for Action4

nach Gibson-Graham et al. 2016, Abb 12.1): Commons Negotiations: Maintaining commons or creating new commons

  • Access             Shared and wide
  • Use                  Managed by community
  • Benefit            Widely distributed to a community and beyond5
  • Care                 Performed by community members
  • Responsibility  Assumed by a community
  • Property           Private individual or collective; State, Open Access

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Auf das historisch problematische Verhältnis zwischen Staat und Commons wurde in der einschlägigen Literatur häufig hingewiesen. Insbesondere seit den großen Einhegungswellen des 17. Jahrhunderts erwiesen sich Akteure des Staates als „enclosurer“ par excellence.6 Einhegung bedeutet mehr als Privatisierung. Sie bezeichnet die – oft gewaltsame – Trennung der Menschen in ihren sozialen und kulturellen Bezügen von Ressourcen und Mitteln, die sie zu ihrer Reproduktion brauchen. Einhegungen geschehen über ökonomische, rechtliche, technologische Mechanismen oder über den Entzug von spirituellen Ankerpunkten. Sie erscheinen im Rückblick wie eine Art Zangenbewegung, in der Commons zwischen Markt und Staat zerrieben werden. Dabei ist oft, aber nicht immer, Gewalt im Spiel. Denn Einhegungen finden auch im Kopf statt. So geht die bereits erwähnte Trennung und Dichotomisierung von öffentlich vs. privat mit einer doppelten Unsichtbarmachung von Gemeinschaften/ zivilgesellschaftlichen Akteuren oder Netzwerken einher: als gesellschaftlich relevante Akteure einerseits und als analytische Kategorie andererseits. In der Konsequenz vollziehen sich Einhegungen oft leise und unbemerkt. Die Dinge „sind dann eben so.“ Soziale Praktiken verschwinden klanglos aus dem kollektiven Gedächtnis, und neue Rechtssetzungen erscheinen wahlweise als „vernünftig“ oder schlicht „unvermeidbar“, nur „weil es sich sonst nicht rechnet“. Der gesellschaftliche Konsens, auf den bereits Gramsci hingewiesen hatte, wird meist vor den eigentlichen Einhegungen mobilisiert.

In der Summe kann die Simplifizierung komplexer sozio-kultureller Wirklichkeiten, die Ignoranz bioregionaler Grenzen, die tendenzielle Unsichtbarmachung anderer Selbstverständlichkeiten, kurz: die Einhegungen der Commons durch das Markt-Staat-Duopol nur als Verlust von Demokratie gewertet werden.

Hannah Arendt schreibt 1963:

„Wirkliche Demokratie aber … kann es nur geben, wo die Machtzentralisierung des Nationalstaates gebrochen ist.“

Dies ist nicht nur ein demokratietheoretisches Problem, sondern eines, das auf den nachhaltigen und fairen Umgangs mit natürlichen Ressourcen durchschlägt. Damit hat sich die Forschung vor allem in der Tradition von Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom auseinandergesetzt und untersucht, wie die gemeinschaftliche Nutzung natürlicher Ressourcen im Vergleich zur top-down Verwaltung (etwa durch staatliche Forstbehörden) gelingt. Elinor Ostrom wurde nicht müde, die Forschungsergebnisse zu resümieren, indem sie auf die im Allgemeinen zumindest gleich guten oder bessere Ergebnisse hinwies als bei privaten oder staatlichen Top-Down-Systemen.

Den zentralen konzeptionellen Beitrag zur Governance von Gemeingütern (in der ostromschen Nomenklatur: common pool resources) lieferte ihr Mann, Vincent Ostrom. Anfang der 1970er Jahre veröffentlichte er einen Aufsatz zur Policentricity7. Darin umreißt er eine polycentric order als eine in der:

many elements are capable of making mutual adjustments for ordering relationships with one another within a general system of rules where each element acts with independence of other elements“ (Ostrom, V. 1972, abstract)

Es klingt fast als sei die Rede von den Potentialen algorithmusbasierter Koordination auf digitalen Plattformen (Stichwort blockchain) oder von der Selbstorganisation von DNA. Und weiter:

Polycentricity is not confined to market structures but can apply to the organization of diverse political processes and by implication can apply to the political process as a whole. (ebd)“

Hier scheint also das Ganze der politischen Ordnung polyzentrisch denkbar (und polyzentrisch heißt nicht „dezentral“). Das Konzept steht in Verbindung mit den insgesamt acht Design-Prinzipien für Commons-Institutionen, die Elinor Ostrom in den Mittelpunkt ihres Lebenswerkes gestellt hat. Ob und, wenn ja, welche konkreten Staatsformen auf den Gedanken der Polyzentralität aufbaubar sind, ist hier zunächst zweitrangig. Doch die weithin an den Rand gedrängten Erfahrungen der Rätedemokratien oder die Lebenswirklichkeiten in einem Land wie Kamerun, wo seit der Dekolonialisierung ein hybrides Rechtssystem aufrecht erhalten wurde, in dem Nachbarschaftsstreitigkeiten, Kleinkriminalität und Landstreitigkeiten weiterhin lokalem, mündlich überliefertem Recht unterstehen und nur strafrechtlich relevante Fälle an die staatliche Gerichtsbarkeit fallen8, zeigen, dass Selbstorganisation und Polyzentralität durchaus der konkreten Ausgestaltung von Staatlichkeit dienen können9. Diese Erfahrungen und insbesondere ihr oft gewaltsam herbeigeführtes Scheitern stehen zudem dafür, dass das ‚Repräsentiert-Werden‘ politisches Handeln, Selbstorganisation oder commoning nie ersetzen kann.

Fußnoten:

1 In Deutschland seit den Arbeiten von Ferdinand Tönnies.

4 Mehr zur Erarbeitung von nach innen gerichteten Commons Prinzipien in Helfrich, S., Bollier, D. und Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.): Die Welt der Commons. Muster gemeinsamen Handelns, transcript, 2015.

Meine Hervorhebung, vgl. das Konzept der strukturellen Gemeinschaftlichkeit in diesem Beitrag von Stefan Meretz.

6 vgl. die sog. parlamentary enclosures

7 basierend auf früheren Arbeiten mit Charles Tiebout und Robert Warren

8 Welchen Anteil diese hybriden Formen an dem weitgehend friedlichen nebeneinander Leben von kulturell stark divergierenden Ethnien, die insgesamt 230 (!) Sprachen sprechen, beiträgt, wäre interessant zu erforschen.

9 Vgl. Arendt (1963).

Ein Gedanke zu „Statehood and Common/ing (3/4)

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