Droht die ALDIsierung der Allmende?

Das ist einer der kuscheligsten Orte Berlins. Zumindest in sonnigen Stunden. Ein zauberhafter Ausdruck von Lebendigkeit, Vielfalt, Gemeinsinn und … Einfachheit. Die Rede ist vom Allmendekontor, dem Gemeinschaftsgarten auf dem Tempelhofer Feld.

allmendekontor

Foto: Allmendekontor; Autor unbekannt

Ein paar Klönstunden inmitten dieser kistigen Hochbeete sind nicht nur für die Gärtnerinnen und Gärtner attraktiv, sondern auch für viele Besucher. Und die kann man sich nicht aussuchen. So tauchte neulich der Rapper Fargo dort auf um einen Song aufzunehmen. Das Ergebnis ist ziemlich ohrwurmtauglich, finde ich. Fargo singt von ’nutzloser Vielfalt‘ und meint damit, das ist im Kontext offensichtlich, die Warenvielfalt im Supermarkt.

„alles immer größer, höher und weiter, weil für das Einfachste mal wieder einfach keine Zeit war…“

Wer kennt das nicht? Schnell noch ein Geschenk kaufen, mit dem mensch möglichst nicht „durchfällt“, weil zum Selbermachen „wieder keine Zeit war“.  Das Video erzählt Geschichten vom Spielen mit dem was da ist, also davon, dass es die vielen Spielzeuge aus dem Warenhaus genausowenig braucht, wie eine Unzahl von Fernsehkanälen zum Durchzappen. Da gehe ich innerlich mit, ganz weit… . Aber es scheint, das ist ein Auftragswerk.  Und das ist ein Problem.

Hinter dem coolen Text und Rapper auf dem megacoolen Tempelhofer Feld steht Aldi mit seiner aktuellen Werbekampagne, in der behauptet wird, dass 10 Zitronensorten sinnlos sind. Mensch wolle doch “einfach nur Zitronen”. Und schwupps sind wir bei der biologischen Vielfalt, die etwas ganz anderes meint als 100 Fernsehkanäle oder 2000 verschiedene Spielzeugautos. Doch da ist das entscheidende Adjektiv längst über den Jordan. Es kommt weder im Liedtext, noch in der Werbekampagne von Aldi, noch im Protestschreiben der Träger und Kümmerer des Allmendekontors vor.  Diese nämlich wehrt sich, weil die Kulisse des Gemeinschaftsgartens ungefragt für die Aufnahmen von Fargo und damit für die Aldikampagne genutzt wurden.  Zitat:

„Die Discounter Aldi Süd und Aldi Nord greifen in einem Werbespot eine ganze Bewegung an, die sich für vielfältige, gesunde, ökologische und fair produzierte Lebensmittel einsetzt. Sie benutzen dabei ohne unsere Zustimmung den Berliner Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor als Kulisse, um die Botschaft von einer vermeintlich “nutzlosen Vielfalt“ zu verbreiten.

Eine Allmendegärtnerin meint dazu, „ohje“, das sei ein bisschen viel „Terz“.  Also starker Tobak. Und tatsächlich greift ALDI niemanden an, sondern etwas auf – und zwar Begriffe wie ‚Einfachheit‘ und ‚Vielfalt‘, die auch im Kontext des Allmendekontors Sinn machen. Nur dummerweise einen anderen! Eine Mitgärtnerin schreibt (bearbeitet; S.H.):

Erstmal ist es ein Musikvideo eines jungen Künstlers, der davon bestimmt nichts wusste. Dann wird in den Plena und im Garten doch immer geworben, dass der Garten für alle da ist! Alle sind eben auch Alle! Wir haben unser Beet jetzt seit knapp fünf Jahren zusammen. Uns juckt das Klauen und zerstören viiel mehr als so ein tolles Musikvideo. Es hab schon schlechtere mit uns;D

Da ist was dran. Nicht nur das Video ist, ehm, geil. Es könnte auch durchaus sein, dass Fargo ein offenes Ohr für die andere Erzählung der Vielfalt hat. @Allmendekontor, habt Ihr ihn mal eingeladen um zu reden?  Vielleicht macht das Sinn. Ich zum Beispiel, hätte den Zusammenhang zwischen youtube-Video und Aldikampagne ohne die Lektüre Eures Protestbriefes nicht einmal bemerkt. Zwar kann ich die „Entrüstung“ gut verstehen, doch ich vermute, sie läuft ins Leere, weil Ihr den Kontext ignoriert.
Das Problem ist doch, dass die „Vielfalt die wir meinen“ und die „Vielfalt die die Warengesellschaft meint“ zwar begrifflich gleich, inhaltlich aber völlig unterschiedlich sind. Es sind Homonyme. So wie FusBALL und TanzBALL sind auch BioDIVERSITÄT und WarenDIVERSITÄT essentiell verschieden. Das Problem begegnet mir immer wieder. Man kann mit der Sprache des Kapitalismus die Allmende nicht beschreiben (und umgekehrt.) Neue Wörter braucht das Land.

Liebe Allmendekontorianer_innen: Gebt der Geschichte eine Wendung!  Nutzt sie um klarzumachen, dass sogar Aldi die Allmende braucht. Und dass das mit der Warendiversität Unfug ist, wenn sie Biodiversität opfert.

Die ‚Einfachheit‘ von Aldi und Fargo ist sozioökonomisch definiert und sie beruht auf Monokulturen (und einer gehörigen Portion Einfalt). Während sich am kuscheligsten Ort Berlins eine Einfachheit zeigt, die auf Vielfalt beruht und tatsächlich „allen dient“. Wie kommen wir nur darauf, für beides den gleichen Begriff zu benutzen? Und deshalb: ladet Fargo ein und die vermutlich jungen kreativen Köpfe von Oliver Voss und Ogilvy & Mather. Erzählt Ihnen Eure Version von Vielfalt und Einfachheit! Vielleicht (frau darf ja träumen) machen sie eine gute Kampagne draus)

Was ich nämlich wirklich gern begreifen würde, ist nicht die Werbestrategie Aldi (die ist offensichtlich und nicht anders erwartbar). Ich würde gern verstehen, warum kreative Menschen ihre Lebenszeit damit verbringen, dazu beizutragen, dass wir immer mehr, bei immer weniger Firmen kaufen.

 

 

 

Ein Gedanke zu „Droht die ALDIsierung der Allmende?

  1. Was für ein Zufall: Von einem ganz anderen Blickwinkel (und Erdteil) aus hat jemand gerade etwas ähnliches geschrieben:
    Wie SEO (zwecks kurzfristiger Gewinne) die LinkVIELFALT kaputt gemacht hat (und höchstens noch eine Zitrone -sorry- eine profitable Seite für einkommende Links geboten wird)

    http://www.jdroth.com/blogging-changed-2006-2016/?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed%3A+jdroth+%28J.D.+Roth%29

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