Eines meiner Mantras lautet: „Commons brauchen Schutz“. Das heißt nicht nur aber auch: rechtlichen Schutz. Und der fällt nicht vom Himmel. Oft resultiert er nicht einmal aus Gesetzgebungsverfahren. Daher finde ich es wunderbar, dass sich Züchter, Saatgutexperten, Landwirte und Juristen vom Open Source Gedanken inspirieren ließen, der in der digitalen Welt so populär ist. Sie entwickelten in den vergangenen Jahren die erste „Open-Source-Lizenz“ für Saatgut, die sich explizit als „Beitrag zur Bildung von Saatgut-Commons“ versteht.
Ich erinnere mich an ein Treffen vor knapp 10 Jahren in der Kommune Niederkaufungen. Einige Mitglieder des heutigen Commons-Instituts waren dabei. Wir überlegten, warum es so schwer war, Software und Saatgut zusammenzudenken – zusammen als Commons zu denken. Die großen Probleme – Konzentration*, so genannte „geistige Eigentumsrechte“ oder Monopolisierung – waren schließlich die gleichen. Ich war überzeugt, dass die eine community von der anderen würde lernen müssen. Etwa indem sich Saatgutexperten ähnlich wie die Vordenker Freier Lizenzen auf das Feld des legal hacking wagten und versuchten, das Recht kreativ zu nutzen: für eine gemeinnützige und stabile Saatgutversorgung mit vielfältigen, samenfesten und angepassten Sorten. 50 Initiativen sind allein in Deutschland und der Schweiz seit vielen Jahren diesen Aufgaben verpflichtet. Eine starke Lobby haben sie nicht. Rechtlich stehen sie auch eher im Regen. Viele Jahre Arbeit stecken in einer neuen Sorte — und was, wenn dann Monsanto kommt, sich des exzellenten Geschmacks einer Roten Rübe oder der besonderen Leuchtkraft einer Tomate erfreut, noch etwas an dem Saatgut „verbessert“ und dann sagt: „Jetzt gehört das alles Monsanto!“?
10 Jahre sind für die Diskussion solcher Fragen voller rechtlicher Tücken keine lange Zeit. Einige Menschen haben sich in dieser Zeit der Sache angenommen. Was sie tun, bezeichnen sie nicht als „legal hacking“, sondern als Wirken im
methodologischen[s] Labor für die öffentlich-rechtliche Organisation von Pflanzenzüchtung, mit dem Ziel das Gemeinwohl zu mehren.
Wortwahl hin oder her, entscheidend ist:
Mit der Open Source Lizenz für Saatgut haben wir einen Weg gefunden, Saatgut aus der Logik von Patentierung und Sortenschutz herauszuhalten (Kotschi & Rapf 2016:5).
Ich muss etwas ausholen. Saatgut war immer schon Gemeingut. Erst vor gut 100 Jahren – historisch gesehen ein Fliegenschiss – änderte sich das (vgl hier). Saatgut stand also der Allgemeineit zur Verfügung. Doch in einer vor ökonomischem Liberalismus triefenden Welt, in der jeder technologische Durchbruch zugleich eine Welle neuer Privatisierungsmöglichkeiten erzeugt, dauerte es nur wenige Jahrzehnte bis Gegenstand geistigen Eigentums wurde, was bislang gemein war. Nun ist Privatisierung nicht immer und nicht per se ein Problem, aber in der Verbindung mit Monopolisierung wird es bedrohlich. Man kann das „institutionalisiertes Marktversagen“ nennen, wie einer der OSS-Lizenz-Vordenker, Johannes Kotschi, das tut. Sind es doch die politischen und rechtlichen Institutionen, die die Privatisierungswerkzeuge bereitstellen und den Privatisierungsprozess rechtlich absichern. Im Ergebnis heißt das für unser Saatgut: die Letztverfügung über das, was auf unsere Teller kommt liegt in immer weniger und immer mächtigeren Händen. Das ist ein Riesenproblem. Angesichts dessen können wir nicht einfach gut 100 Jahre zurück und sagen: Saatgut war immer schon bedingungslos frei verfügbar und das soll auch so bleiben. Einfach weil es längst nicht mehr so ist. Und deshalb finde ich es notwendig, dass wir versuchen, neue Wege zu suchen, unser Gemeingut zu schützen.
Werfen wir also einen Blick auf das neue Rechtsinstrument. Es wurde wie das Commoner’s Law im Software und Kulturbereich nicht vom Gesetzgeber entwickelt wurde, sondern von den „Betroffenen“ selbst (ein Murks, dass dieses Wort im Deutschen schmalzig klingt). Gemeint sind Menschen, die mit dem Thema direkt in Berührung stehen. Das ist die erste Gemeinsamkeit zwischen den beiden Sphären Software und Saatgut.
Die zweite Gemeinsamkeit: Die Nutzung von Saatgut als Gemeingut ist, wie die Nutzung der GNU-GPL an Bedingungen geknüpft (zur Fülle alternativer Lizenzen vgl Open Source Initiative). Nämlich die, dass die Sache nicht privataneignungsfähig ist. Man kann also mit dem Saatgut nicht nach völligem Gutdünken verfahren, denn die Nutzungslizenz
verpflichtet den Lizenznehmer zukünftigen Besitzern des Saatguts und seiner Weiterentwicklungen die gleichen Rechte einzuräumen, die er/sie selbst genossen hat, und jede darüber hinausgehende Beschränkung (z.B. Patentierung und Sortenschutz) zu unterlassen. (eigene Herv.)
Nicht umsonst bedeutet das lat. munus, aus dem sich commons ableitet, zugleich ‚Gabe‘ und ‚Pflicht‘.
Der Lizenznehmer wird durch diese Verfügung zum Lizenzgeber der wiederum Lizenznehmer haben kann, die zum Lizenzgeber werden, die Lizenznehmer haben können, die Lizenz…. Die Sache ist viral! Potentiell könnte das eine Kette von Nutzungen (unter entsprechenden Lizenzverträgen) auslösen, die anderes Saatgut (also proprietäres Saatgut) vom Markt drängen.
Eine dritte Gemeinsamkeit: Das „commoner’s law“ sattelt auf der existierenden Gesetzgebung auf so wie das Copyleft auf dem Copyright. Man könnte das mit Fug und Recht als Commons Public Partnership bezeichnen.
Konkret: Die OSS Lizenz ist ein zivilrechtlicher Vertrag sui generis, der auf dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) gründet. Er kann als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) eingestuft werden, weil er einseitig von einer Partei gestellt, nicht im Einzelnen ausgehandelt und für viele Verträge bereits vorformuliert ist. AGBs sind allseits bekannt! Das sind die, bei denen ich allzu oft halbblind ein Häkchen setze, um schnell an irgendeine Dienstleistung zu kommen, ohne genauer wissen zu wollen, zu welchen rechtlichen Bedingungen das geschieht.
Ähnlich „halbblind“ könnte das in Zukunft auch hin und wieder bei OSS lizenziertem Saatgut verlaufen. Juristen sprechen davon, dass AGB-Verträge „konkludent“ zu Stande kommen, d.h. man schließt das Einverständnis mit der Lizenz aus der Verhaltensweise (von lat. con-cludere) . So eine Verhaltensweise wäre die Nutzung eines Internetdienstes nach dem gesetzten AGB-Häkchen oder das Aufreißen eines OSS-lizenzierten Samentütchens. Wer das tut, deklariert de facto sein Verständnis mit den Lizenzbedingungen. Freilich müssen selbige auf dem Tütchen zumindest abgedruckt sein.
Wer künftig solch ein Tütchen in den Händen hält, der erinnere sich an das, was wirklich von Belang ist. Dieses Saatgut ist als Commons geschützt, denn
- der Lizenzgeber hält keine ausschließlichen Nutzungsrechte
- der Lizenzgeber teilt einfache Nutzungsrechte
Die Kurzversion der Lizenz, die es derzeit in Deutsch, Englisch und Französisch gibt, trägt daher auch den treffenden Titel: Saatgut mit gleichen Rechten und Pflichten für alle
Mit Erwerb des Saatguts oder bei Öffnung der Verpackung dieses Saatguts akzeptieren Sie im Wege eines Vertrages die Regelungen eines kostenfreien Lizenzvertrages. Sie verpflichten sich vor allem, die Nutzung dieses Saatgutes und seiner Weiterentwicklungen nicht z.B. durch Beanspruchung von Sortenschutzrechten oder Patentrechten an Saatgutkomponenten zu beschränken. Zugleich dürfen Sie das Saatgut und daraus gewonnene Vermehrungen nur unter den Bedingungen dieser Lizenz an Dritte weitergeben. Die genauen Lizenzbestimmungen finden Sie unter www.opensourceseeds.org/Lizenz. Wenn Sie diese Bestimmungen nicht akzeptieren wollen, müssen Sie von Erwerb und Nutzung dieses Saatguts Abstand nehmen.
Open Source Seeds nimmt seine Arbeit nun mit zwei lizensierten Sorten, dem Sommerweizen convento C und der Tomate Sunviva auf. Insgesamt sind wohl 5 Zuchtbetriebe mit an Bord um das Modell zu testen. Am 26. 4.2017, dem Welttag des Geistigen Eigentums (sic!) wird die Initiative in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt. (18 Uhr im Magnus‐Haus Berlin, Am Kupfergraben 7)
Auf der Veranstaltung stellen wir den neuen Dienstleister OpenSourceSeeds und die erste OSS lizenzierte Sorte … der Öffentlichkeit vor. Die neu gezüchtete Tomatensorte Sunviva in ihrer Eigenschaft als rechtlich gesichertes Gemeingut ist eine Weltneuheit,
heißt es in Einladung+Programm_OSS. Hach, da wäre ich gern dabei! Spätestens aber in 10 Jahren, wenn viele Erfahrungen auszuwerten sind, will ich mitdiskutieren. Gruß nach Berlin vom Commonsblog!
* allein in Deutschland haben in den letzten 15 Jahren 25 Prozent der Saatgutfirmen aufgegeben oder wurden aufgekauft. 2015 gab es noch 58 eigenständige Züchtungsfirmen (Kotschi/Rapf 2016: 4)
Referenz: Johannes Kotschi und Klaus Rapf (2016): Befreiung des Saatguts durch open source Lizenzierung, agrecol Juli 2016
Mehr gibt’s:
- auf der Open Source Seeds Website die gestern online ging
- in diesem Artikel, veröffentlicht in der Zeitschrift „Ländlicher Raum“
- bei Johannes Timaeus: Sortenvielfalt als gesichertes Gemeingut
- bei den Frequently Asked Questions
- auf ältere und allgemeine Beiträge zum Thema Software und Saatgut weist die Salatwerkstatt hin
Auch großartig und ein Pionier zum Thema: Open Source Seeds. OSS hat unter nordamerikanischen Bedingungen übrigens wieder Abstand davon genommen, eigene Lizenzverträge zu entwickeln. Sie setzen auf ein noch commonistischeres Verfahren: freie Absichtserklärungen.
Update vom 26. April: Das Ganze in den Medien:
Gespräch mit Jürgen Maier vom Forum U&E im Deutschlandfunk
Wenn alle geplanten Fusionen der Saatgut und Pflanzenschutz produzierenden Konzerne in diesem Jahr [2017] vollzogen sind, dann werden mindestens 60 Prozent des kommerziellen Saatgutmarktes und des inzwischen dazugehörigen Pestizidmarktes von nur noch drei Konzernen beherrscht. Diese weltweite Monopolisierung der Saatgutproduktion (Stichwort Monsanto/Bayer), die damit verbundenen Lizenzgebühren für die Landwirte und die Vereinheitlichung des Sortenangebotes bereitet Bauern, Umwelt- sowie Klimaschützern gleichermaßen Sorge. Denn wenn immer mehr Sorten verloren gehen, weil nur noch wenige als lukrativ erachtet werden, woher dann die Samen nehmen von den Getreidesorten, die besonders gut an bestimmte extreme Standorte angepasst sind?
Der SWR über die „Kleine Lizenzrevolte“ Solch kleine Revolten können ja große Wirkung haben, wie wir von der GPL wissen .
Und um das Bild zu vervolltständigen, hier die Ideen des „Bundesverbandes deutscher Pflanzenzüchter“, der der Idee von OSS ganz offenbar nicht viel wird abgewinnen können.
Einen weiteren Beitrag gibt es auf Spiegel online nach dem Launch und mit kritischem Blick auf diesen Spon-Artikel berichtet Radio Utopie.
Der einzige kleine Wermutstropfen über die erfreuliche Nachricht ist, dass die Meldung eins, zwei Monate für unsere klimatischen Bedingungen zu spät kommt, um noch in diesem Jahr das beliebte Gemüse aussäen und ernten zu können.
Die FR spricht – im Kontext gegen die Bayer (künftig Bayer-Monsanto) Proteste, von der „Tomatenrevolution“.
Update 14. Juni:
Englischsprachig:
Nithin Coca (June 2017) auf Shareable: German Nonprofit Creates New Open-Source License for Seeds.
Lucas Laursen (Jun 12 2017): German breeders develop “open-source” plant seeds. im Sciencemag
Sehr spannend!
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