Commons bieten viele gute Lösungen. Doch der Weg zu einer Welt voller Commons ist lang. Dragon Dreaming bietet zahlreiche Alltagspraktiken und Methoden. Das kann auf dem Weg dorthin hilfreich sein. Wer Dragon Dreaming kennenlernen will kann hier klicken: Dragon Dreaming Transition Lab im September im Ökodorf Siebenlinden.
Ein Gastbeitrag von Ilona Koglin
Commons in der Praxis
Wir brauchen den Wandel. So viel steht fest. Gute Ideen gibt es. Doch wie kommen wir als Gesellschaft friedlich, demokratisch und kollektiv-kreativ unseren Visionen tatsächlich näher? Sicherlich, in dem sich die Menschen zusammentun und gemeinsam Projekte entwickeln. Zum einen sind das Projekte, die “oben” Druck machen und für neue, politische Rahmenbedingungen kämpfen. Zum anderen sind dies Graswurzel-Projekte, die von unten praktische Alternativen für die Menschen schaffen, die bereit sind, den Wandel in ihrem Alltag auszuprobieren und zu leben. Und schließlich sind das auch Initiativen, die erklären, aufklären und versuchen, Menschen für die Commons zu begeistern.
Die Win-Win-Win-Kultur
Die Erfahrung zeigt aber auch, dass es noch eine weitere Ebene gibt – eine, die den bereits genannten Projekten zugrunde liegt: Und das ist die Art und Weise, wie wir diese Projekte planen und umsetzen. Denn eine Welt ohne Wachstum und mit Commons schaffen wir nicht allein durch Organisation, Politik und gute Projekte und Initiativen. Wir schaffen sie nur dann, wenn jede und jeder Einzelne von uns darüber hinaus auch bereit ist, sich selbst und seine Haltung zu verändern. Wir leben in einer Welt, die auf Konkurrenz, Hierarchien und dem Kampf um Sieg oder Niederlage aufbaut. Das bewirkt Verhaltensweisen, Ängste, Unsicherheiten und zwischenmenschliche Beziehungen, die der Idee der Commons zuwiderläuft. Das Anliegen von Dragon Dreaming ist es, beides zu verbinden: Es liefert Methoden, die Gemeinschafts- und Graswurzelprojekten dazu dienen, Ideen zu entwickeln, gemeinsam zu planen und erfolgreich umzusetzen. Es liefert zugleich Methoden und Praktiken, mit denen Individuen und Teams eine Win-Win-Win-Kultur üben und leben können. Win-Win-Win meint, dass die Dragon-Dreaming-Methoden die folgenden drei Prinzipien fördern:
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Win: Jedes involvierte Individuum soll durch das Projekt persönlich wachsen
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Win: Die Gemeinschaft soll durch das Projekt stärker werden und lernen
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Win: Die Erde soll durch das Projekt zumindest geschützt, besser bereichert werden
Wer es lernt, eine solche Kultur zu leben – in Gemeinschaft mit anderen – kann viel bewirken. Denn in so einer Kultur ist allen klar, dass die Bedürfnisse jedes Einzelnen erfüllt werden. In solch einer Kultur haben Horten und zwischenmenschliche Kämpfe keinen Sinn mehr. Dafür ist es sinnvoll möglichst viele Ressourcen zu teilen, eine Schenkökonomie zu leben und das zu tun, was sinnvoll und wichtig erscheint (für das Individuum, die Gemeinschaft(en) und die Welt als Ganzes) – und nicht das, was sich monetarisieren lässt. Dragon Dreaming kann deshalb ein Methodenkoffer für einen Weg in eine Welt des Postwachstums und der Commons sein.

What do Dragons Dream? Foto by Garland Cannon: Lizenz: CC, BY, SA
Wer hat Angst vor’m großen Traum?
Doch wer wagt zu glauben, das solch ein fundamentaler Wandel tatsächlich möglich ist? Wer wagt zu behaupten, dass Menschen alle Kriege beenden, die Ausbeutung der Natur stoppen und sich alle Menschen auf dieser Erde gerecht mit dem für sie Lebensnotwendigem versorgen können? Scheint es doch heute den meisten wahrscheinlicher, dass die Menschheit zugrunde geht, bevor sie sich ihr eigenes Paradies erschafft. Da ist es fast folgerichtig, seine Träume aufzugeben und sich abzulenken. Eben einfach das zu tun, was viele tun.
Die Philosophie von Dragon Dreaming basiert auch auf den Einflüssen der Kultur der Aborigines – der Ureinwohner Australiens. John Croft, der gemeinsam mit anderen die Methoden erstmals entwickelt hat, hat viel Zeit mit ihnen verbracht. In ihrer Kultur haben Träume eine ganz besondere Bedeutung. Sie sind nichts irreales, keine bloße Tätigkeit des Unterbewussten. In ihrer Kultur heißt es, dass der oder diejenige, der oder die seine oder ihre Träume verliert, auch einen Teil seiner oder ihrer Seele verliert. Das Ziel von Dragon Dreaming ist es daher (auch), Menschen dabei zu unterstützen, ihre (Lebens)Träume ernst zu nehmen und zu verwirklichen. Das Herzstück sind dabei die folgenden vier Schritte:
Träumen
Jedes Projekt dieser Erde beginnt mit dem Traum eines Menschen. Doch bereits hier bleiben bestimmt über 90 Prozent aller Träume stecken. Warum? Weil die Menschen ihre Träume niemals alleine verwirklichen können. Sie müssen sie mit anderen Menschen teilen, ihnen davon erzählen, sie davon begeistern. Sie brauchen ein Team, das gemeinsam dafür sorgt, dass dieser Traum Realität werden kann. Man könnte sagen: Träume realisieren sich erst durch commoning. So wie jedes Commons überhaupt erst durch Commoning in die Welt kommt.
Das gelingt nur, wenn der Traum des Einzelnen in dieser Projektphase “sterben” kann, um als ein (veränderter) Traum der Vielen wieder auferstehen zu können. Denn nur, wenn sich alle zu 100 Prozent mit dem Traum, der Vision identifizieren können, werden sie auch all ihre Kraft und Energie in die Verwirklichung dieses Projektes stecken. In unserer Welt ist es oft so, dass Menschen sich nicht trauen, ihre Träume zu teilen. Oder wenn sie es tun und der Traum stößt auf Interesse, betrachten sie es als ihr „Eigentum“, was die Angst erzeugt, dass jemand den Traum wegnehmen oder verändern könnte.
Planen
Doch durch gemeinsames Träumen gewinnt eine Idee an Tiefe, Wert und Komplexität. Zugleich wird sie immer greifbarer, konkreter und praktischer. Irgendwann wird dadurch die Schwelle zur zweiten Phase überschritten: Dem Planen. Wiederum zeigt die Praxis, dass die deutliche Mehrzahl aller Projekte in dieser Phase scheitert. Warum? Oft liegt es daran, dass nur einige wenige die Planung machen – die einzelnen Schritte aber von allen umgesetzt werden sollen.
In hierarchisch strukturierten Unternehmen wird dies am deutlichsten. Doch auch in anderen Kontexten bilden sich nicht selten informelle Hierarchien aus. Oft ist Kritik dann unerwünscht. Konflikte lassen sich nicht konstruktiv lösen. Eine Kultur des Schweigens entsteht, in der heimliche Sabotage und innerliche Kündigung als Auswege dienen. In (ehrenamtlichen) Initiativen, in denen das Druckmittel Geld fehlt, verlassen die Menschen dann das Projekt.
Handeln
Dieses Problem kann sich bis weit in die Phase der Umsetzung, des Handelns ziehen. Manche Projekte versanden aus diesem Grund einfach. Die Motivation der Mitstreiter*innen sinkt. Die Verantwortung und die täglichen Aufgaben bleiben mehr und mehr an einigen wenigen hängen (meist die, die die Planung geprägt haben). Teilweise entsteht auch ein Teufelskreis aus blindem Aktionismus: Alternativen sind schwieriger zu erkennen, weil zwischenmenschliche Reibereien die gemeinsame Suche nach den besten Lösungen erschweren oder gar verhindern. Neue Ideen werden leicht als Kritik empfunden und abgetan.
Deshalb bietet Dragon Dreaming einfache, spielerische Methoden, mit denen selbst große Gruppen gemeinsam Projektpläne erstellen, kollektiv-kreativ ihre Fortschritte überprüfen und gegebenenfalls neue Wege suchen können. Es zeigt, wie Prinzipien der Selbstorganisation genutzt werden können und ein lernender Organismus entsteht. Dazu ist auch die folgende Phase, die Phase des Feierns, ganz besonders wichtig.
Feiern
In unserer Kultur erscheint das Feiern meist überflüssig. Meist werden während der Umsetzung Zeit und Geld knapp – entsprechend kurz und unaufwendig fällt dann diese vierte Phase aus. Dabei ist sie – wie das Träumen – ebenso wichtig wie die Planungs- und Umsetzungsphase. Dragon Dreaming Projekte sollten deshalb für alle vier Phasen gleich viel Zeit und Geld budgetieren. Warum? Weil die Feierphase nicht nur dem fröhlichen und ausgelassenen Beisammensein, dem Genuss und der Erholung dient. Das auch.
Sie ist aber auch die Phase der Reflexion, des tiefen Austauschs, des Zuhörens und Ausreden lassens. Es ist die Phase, in der wir das gemeinsame Projekt als Mittel sehen, um von und miteinander zu lernen. Um persönlich zu wachsen, unsere Gemeinschaft zu stärken und dafür zu sorgen, dass der materielle und immaterielle “Ertrag” des Projektes der ganzen Welt gleichermaßen zugute kommt. Es ist genau das Innehalten und Nachdenken, dass uns in unserer immer schnelllebigeren Zeit zunehmend abhanden kommt – zum Schaden der Menschen, der Umwelt und Projekte.
Dragon Dreaming Transition Lab
Dragon Dreaming bietet so für alle Projektphasen etwas: für die Entwicklung von Ideen und Visionen, für die Planung, für die Evaluation und für die Reflexion sowie das Teambuilding. Ursprünglich aus der Arbeit von John Croft entstanden, sind die Methoden mittlerweile OpenSource – und damit selbst Commons.
Mehr noch. Eine weltweite Community aus Dragon-Dreaming-Praktikern und -Facilitatoren erprobt die Methoden in den unterschiedlichsten Kontexten: Von der Gründung von Ökodörfern und Wohngemeinschaften über Projekte von NGOs, Aktivisten und Bildungseinrichtungen bis hin zu künstlerischen, medialen und unternehmerischen Aktivitäten. Dragon Dreamer sind „commoners“. Sie sorgen dafür, dass sich der Ansatz ständig weiter entwickelt, verändert und wächst.
Wer Teil dieser Bewegung werden will (oder einfach „nur“ die Methoden nutzen möchte, um ein eigenes Projekt voranzubringen), hat dieses Jahr die ideale Gelegenheit dazu: Vom 18. bis 24. September findet im Ökodorf Sieben Linden (zwischen Berlin und Hamburg) das Dragon Dreaming Transition Lab statt: Rund 60 Aktivisten, Kreative, Gründer und Querdenker*innen kommen hier aus aller Welt zusammen, um gemeinsam ihre Projekte und Träume voranzubringen. Daneben gibt es zahlreiche Sessions zu fortgeschrittenen Methoden des Dragon Dreaming, der kollektiven Kreativität, der Bewusstseinsbildung und Konfliktlösung – unter anderem mit John Croft.