Ein Nebenfluss der Elbe schickte sich an, in die bundesdeutsche Geschichte einzugehen. Seit 2015 hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben 820 Meter des Flussbettes der Jeetzel zum Verkauf feilgeboten, um 95.000 Euro in die Staatskasse zu spülen. Der Flussabschnitt ist bzw. war für potentielle Investoren nicht unattraktiv, weil er das niedersächsische Städtchen Hitzacker südlich umfließt und die Altstadt im Wesentlichen zur Insel macht. Stadtkern also – samt Anlegestellen, Sofa-Flössen (sic!), schwimmendem Café und einem für Trauungen genutzten Zollboot. Die Stadt aber konnte den Kauf nicht aus dem laufenden Haushalt finanzieren und so das „Recht des kommunalen Erstzugriffs“ nicht nutzen.

Blick vom Weinberg auf die Altstadt von Hitzacker, Foto by: Torsten Bätge, Lizenz: CC BY SA 3.0
Ein Verkauf wäre historisch weil, wie die ZEIT berichtet, der Staat zwar bislang
„Seen und andere stehende Gewässer […] schon oft an private Investoren verkauft (hat).“ Aber „(f)ließende Gewässer erster Ordnung, also kleinere Quellflüsse, wurden bisher nicht an Privatpersonen verkauft.“
Ein Gewässer erster Ordnung ist eines mit
„erheblicher Bedeutung für die Wasserwirtschaft.“
Das erfahre ich hier. Und tatsächlich spielt die Regulierung der Jeetzel eine wichtige Rolle im Hochwassermanagement der Elbe.
Im Grunde aber überrascht nicht, wenn Entscheidungsträger, die dem öffentlichen Interesse und dem Gemeinwohl verpflichtet sind, auf die Idee verfallen, Flüsse zu verkaufen. Schließlich gibt es im Kapitalismus nichts, das vor der Verwarung – der Verwandlung in eine Ware – sicher ist. Umgekehrt verhält es sich allerdings genauso: Es gibt im Grunde nichts, das nicht auch in ein öffentliches bzw. Gemeingut (zurück-)verwandelt werden kann. Wir müssen das, trotz der Umstände, nur denken können. Und wir müssen kreativ sein!
So wie engagierte Bürgerinnen und Bürger aus Hitzacker, die im November 2016 spontan einen Verein gründeten mit dem Ziel den Verkauf abzuwenden ohne dabei den Staat aus der Verantwortung zu entlassen. Der Verein will, dass die Jeetzel in öffentlicher Hand bleibt:
„Wir fordern vom Land Niedersachsen zu seiner Verantwortung für die Flüsse erster Ordnung zu stehen und die Jeetzel zu übernehmen. Alternativ fordern wir die Unterstützung der Stadt Hitzacker (Elbe) bei der Finanzierung des Kaufs des Jeetzelabschnitts und die Übernahme der Unterhaltungskosten durch das Land.“
Mit dem Fordern ist es freilich so eine Sache. Privatisierung ist seit Jahrzehnten in Mode. Die Stadt ist klamm und das Land reißt sich auch nicht um die Übernahme. Also dachten sich die Hitzacker*innen: Wir tun was. Wir sammeln Spenden! Aber nicht bedingungslos, sondern ausschließlich für den Fall, dass das Land Niedersachsen nicht „Eigentum und Pflege übernimmt“. Wir sammeln Spenden,
„um die Stadt Hitzacker (Elbe) notfalls beim Kauf der Jeetzel finanziell zu unterstützen.“ (eigene Herv.)
Die Strategie dahinter: Druck aufbauen und Verantwortung signalisieren. Das ‚und‚ ist hier wichtig.
Aber auch die Kreativität. Daher haben die Hitzacker*innen die „Jeetzel-Aktie“* erfunden, mit der symbolisch ein Teil des betreffenden Flussbettes freizukaufen ist. 60% des ausgewiesenen Kaufpreises sind so in einem halben Jahr zusammengekommen (siehe Foto). Entfällt der Finanzierungszweck, dann gibt es die Spenden zurück.
Es ist eine Art freiwillige Ausfallbürgschaft, die ihrem Namen alle Ehre macht: Die Bürger*innen als Bürgen, als Treuhänder des Öffentlichen statt umgekehrt! Ein bisschen schräg? Mag sein, aber marktfundamentalistische Zeiten machen erfinderisch. Sie erfordern unkonventionelle Lösungen und außerdem zeigt die Initiative Wirkung. Sicher nicht nur, aber auch wegen des gemeinsamen Einstehens der Hitzacker*innen für ihren Fluss sind
„die Signale aus der niedersächsischen Landesregierung […] positiv, dass die Jeetzel in öffentlicher Hand bleibt.“
So ist seit Anfang Februar 2017 auf der Website von „Gemeinsam für Hitzacker“ zu lesen. Und weiter:
„Nun muss sich auch der Bund bewegen und dem Land den Flussabschnitt kostenlos überlassen.“
Der Wind hat sich gedreht und das schafft Platz für Neues. Nur einen Monat später veröffentlicht die Vereinsmitglieder, dass „Abwarten und Tee trinken“ ihre Sache nicht sei, obwohl derzeit in der Tat die entscheidende Nachricht ausstehe,
„dass die Jeetzel in öffentlicher Hand bleibt.“
Seit Februar 2017 wird verhandelt, wie der Fluß vom Bund auf das Land übertragen werden kann.
Das gemeinsame Tun hat offenbar die Phantasie der Aktiven belebt. Sie möchten
„den Schwung aus der „Jeetzel-Rettung“ weiter tragen“ und „als Bürgerinnen und Bürger weitere Impulse geben, damit Hitzacker noch schöner, noch bunter und noch lebendiger wird.
Deswegen gibt es am 20. Mai einen Ideen-Workshop zu eben diesem Thema. Ich werde danach gespannt auf dieser Website vorbeischauen, denn Hitzacker scheint doch ein besonders inspirierendes Pflaster. Wendland eben!
* Aus dem Marktdenken gibt es so schnell kein Entkommen. 🙂