Commons Creating Peer Economy. Kristallisation einer enkeltauglichen Gesellschaft?

Cover CommoningHier gibt es in vier Folgen die Langfassung meines Beitrags, der in der letzten Oya zum Thema Commoning erschienen ist. Der Titel des Beitrag war: Commons fallen nicht vom Himmel

Vier Thesen, vier Blogbeiträge. In diesem Post gibt’s These 4 (unter Anderem zum Thema „upscaling„). Es ist der letzte Beitrag der Serie. Der Text hat sich inzwischen erheblich vom Ursprungsartikel entfernt. Zudem habe ich eine ausführlichere Erläuterung der Idee der Commons Creating Peer Economy eingefügt. Hier ist einfach mehr Platz :-).

Muster des Commoning sind Kristallisationskeim einer neuen Ökonomie

Dass Pioniere epidemisch ansteckend wirken können, ist bekannt. Doch kaum jemand glaubt, dass dies genügt, um unsere Produktionsweise (und mit ihr die Gesellschaft) umzukrempeln. Ein Grund dafür ist, dass unsere Gesellschaft durch und durch von oben nach unten oder von unten nach oben gedacht ist. Je nach Standpunkt. Daher wird fast jede Commons-Diskussion im Handumdrehen mit der Frage konfrontiert, wie das, was „im Kleinen funktioniert“ auf höhere Ebenen transportiert werden könne. Fachsprachlich ausgedrückt stellt sich die Frage nach dem „upscaling“.

Manches Mal habe ich auf diese Frage irritiert reagiert – schließlich wird sie gern als Totschlagargument benutzt. („Oh, die Wohlfühlwelt der Weltverbesserer. Das funktioniert im Großen nicht. Abtreten bitte, damit wir uns den ‚politisch relevanten‘ Themen zuwenden können.“) Bis ich schließlich begriff, dass die Frage nach dem „upscaling“ selbst Ausdruck des Denkens in scheinbar unumstößlichen Hierarchien ist. Sie kann aus Commons-Perspektive gar nicht schlüssig beantwortet werden. Die jeweiligen Denkschemata sind nicht passförmig.

Unsere Herausforderung ist nun, zu verstehen und zu zeigen, dass sich Prinzipien und Muster des Commoning gewissermaßen in der Fläche entfalten – potentiell in die ganze Gesellschaft hinein. Nicht von oben nach unten oder von unten nach oben, sondern von Peer zu Peer.

Um den Gedanken ins Bild zu setzen, kann man sich daran erinnern, dass Commons hochgradig vernetzt sind. Zumindest müssten sie es sein. Einerseits, weil die in ihnen beteiligten Menschen und Ressourcen nicht nur an einem Commons, sondern an mehreren sowie sich überlappenden und gegenseitig beeinflussenden Prozessen beteiligt sind. Andererseits, weil erst diese Vernetzung (die über moderne Informations- und Kommunikationstechnologien viel leichter wird) im Stande ist, die Knoten, die Schaltstellen der Macht, zu umschiffen. Dieses doppelte Vernetzung aber führt fast zwangsweise zur Emergenz neuer Eigenschaften des ganzen Systems. Das heißt: Das Ganze entwickelt aufgrund des Zusammenspiels der einzelnen Komponenten Fähigkeiten, die den Komponenten noch nicht einmal anzusehen sind. Voraussetzung dafür, das weiß man seit biblischer Zeit, ist Kommunikation. Sie ist eine Grundlage für Emergenz.

Heißt das nun, dass wir als aktiv Beteiligte, als „Komponenten des Systems Gesellschaft“ keinen Einfluß auf das haben, was aus den unzähligen Commons-Initiativen und Gedanken entsteht? Heißt es, dass wir nur darauf warten müssen, dass ein zukunftsfähiges Gesellschaftssystem (Johannes Heimrath nennt dies Commonie) „emergiert“? Mitnichten!

Die durch Commoning geschaffenen Eigenschaften und Fähigkeiten eines Netzwerks, so die These des Neurobiologen Jacques Paysan, könnten

„wie Kristallisationskeime in einem gesellschaftlichen Kristallgitter“

wirken. Eine schöne Analogie zur Verfeinerung dieses Bildes stammt aus der Halbleitertechnologie. Dort werden die Eigenschaften eines Gittersystems maßgeblich durch einzelne Fremdatome verändert und mitbestimmt, mit denen man das System „dotiert“ (ausstattet).  Für vernetzte Commoning-Prozesse gedacht: Gezielt im Netzwerk platzierte Initiativen, die eine besonders hohe Innovationsstärke haben, können de facto das ganze Netzwerk stärken. Das System wächst, allerdings nicht nur von unten nach oben. Neuankömmlinge integrieren sich – sofern die Grundideen des Vorgefundenen in ihnen Resonanz erzeugen – in existierende Organisationsformen. Dann beginnen sie diese Strukturen mitzugestalten und fortzuentwickeln. Das gesamte System kann allmählich in alle Richtungen wachsen. Zugleich gehen die innovativen Kristallisationskeime im wachsenden Kristall auf ohne einen neuen „Zentralisationspunkt“ zu bilden und ohne hierarchische Spuren zu hinterlassen.

Von Commons Based Peer Production zu Commons Creating Peer Economy**

So könnte man sich auch die Ausweitung von Commons-Projekten zur Commons Creating Peer Economy (CCPE) verstehen. Damit bezeichne ich ein Wirtschaftssystem, das auf Commons aufbaut und vor allem Commons anstatt Waren re/produziert. CCPE kann und nuss strukturell durch Protokolle und Infrastrukturen – nicht durch „eine Regierung“ – ermöglicht und unterstützt werden. Sie soll Menschen dazu befähigen und ermutigen, sich kontinuierlich auf eine nicht-exklusive Art und Weise zueinander in Beziehung zu setzen. Kurz: es geht um eine Ökonomie, die gedeihlichen Sozialbeziehungen dient, nicht nur den Transaktionen. Sie muss daher Beziehungsvielfalt, Vertrauen und Verbindlichkeit produzieren, nicht nur Tausch- und Handelbares. Das erfordert ein spezifisches Design des Produktionsprozesses selbst, so dass die Ressourcen, die wir teilen (Gemeinressourcen) bewahrt und erneuert werden (Nachhaltigkeit) und die Idee des Commoning in der Produktion selbst erfahrbar wird.

Für die Economics and Commons Conference in Berlin im Mai 2013 habe ich mit meinem Kollegen David Bollier eine vorläufige und keineswegs vollständige Liste der Prinzipien von CCPE vorgeschlagen:

  • Gebrauchswert geht vor Tauschwert. Wie nützlich ist etwas für unser tägliches Leben? vs. Können wir etwas verkaufen?
  • Indirekte Reziprozität: Wer aus den Commons nimmt, muss zu Commons beitragen, damit es bestehen und sich erneuern kann. Zeitpunkt und Quantität des Beitrags sind von Zeitpunkt und Quantität des Entnommenen entkoppelt.
  • Selbstorganisation: Commons (als etwas konkret Nutzbares) entstehen aus konkreten Möglich- und Notwendigkeiten gemeinsam etwas zu gestalten oder gemeinsam ein Problem zu lösen. Die Gruppe/Gemeinschaft/das Netzwerk kann die Verantwortung für einzelne Aufgaben untereinander aufteilen, eine Gesamtkoordination aller Tätigkeiten ist vielfach nötig, aber die zahlreichen Interdependenzen in der Produktion erschweren Machtkonzentration.
  • Freies Wissen und Wide Tech*: Das Grundprinzip ist: Teile was du kannst – an materiellen und nicht-materiellen Dingen. Freies Wissen bedeutet die Gewährleistung eines nicht diskriminierenden Zugang zu Wissen sowie das Recht Wissen, Information und Code zu teilen, so dass alle ihr Wissen und ihre Fähigkeiten einbringen können. Angestrebt wird die Nutzung freier, angepasster, modularer, vor Ort verfügbarer/verteilter und ressourcenschlanker Technologien.
  • Schutz: Jede Gruppe/Gemeinschaft/jedes Netzwerk muss spezifische Wege finden, um den Missbrauch oder die Wiederaneignung der Dinge zu verhindern, die gemeinsam geschaffen, gepflegt oder entwickelt wurden, sowie die eigene Kultur und die (Produktions-)Praktiken schützen.
  • Iteration: Prozesse der Gestaltung und Produktion von Commons kommen durch Versuch und Irrtum, Fehlerfreundlichkeit und permanente Reflexion zum Erfolg.

Ein Beispiel von Produktionsprozessen, die sich diesen Kriterien annähern bzw. ihnen entsprechen ist das Open Source Ecology Projekt, das an einem Global Village Construction Set arbeitet und damit Wide-Tech für ein marktunabhängigeres Leben produziert. Ein anderes ist Cecosesola, ein solidarischer und hierarchiefreier Kooperativenverbund aus Venezuela, der schon so manche politische Stürme überlebt hat und insbesondere in der Lebensmittelproduktion und in der Gesundheitsfürsorge tätig ist. Aber auch das Fairphone geht in diese Richtung.

Fazit: Commonspraxis ist erlebbar. Commons-Theorie ist denkbar.  Und ein Haushalten, das Commons schafft, war und ist real. Die Commons-Debatte kann helfen, dass sich dieses Haushalten in alle Richtungen kristallisiert.

* im Gegensatz zur Hightech ‚weit und einfach zugänglich‘. Den Begriff nutze ich seit einem Gespräch mit Pat Mooney von der ETCGroup anlässlich des Weltsozialforums im März in Tunis.

**Für kreative deutschsprachige Fassungen mit Durchsetzungspotential verschenkt die Autorin bis zu zwei Exemplare von „Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat“ Transcript 2012). Vorschläge an: info@commonsblog.de

Vorherige Artikel in dieser Serie:

5 Gedanken zu „Commons Creating Peer Economy. Kristallisation einer enkeltauglichen Gesellschaft?

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